Foto: CHRISTOF-STACHE_AFP_Getty-Images

Sechs Tage, null Nächte

In unserer Rubrik „Legenden“ erzählen wir dieses Mal die verrückte Geschichte von Cliff Young. Der war zwar hauptberuflich Kartoffelbauer und Schafhirte, ging aber dennoch in die australische Sportgeschichte ein. Der Grund: 1983 gelang ihm im Alter von 61 Jahren der Sieg bei einem der härtesten Ultra-Marathon-Rennen der Welt.

Text: Daniel Becker

Möglicherweise sind Sie ja auch so zum Laufen gekommen: Die Strecke eines Volkslaufes, eines Marathons oder einer anderen Laufveranstaltung führte an Ihrer Haustür vorbei und Sie dachten sich, dass Sie da ja eigentlich auch mal teilnehmen könnten. Für Lauf-Novizen gilt in diesem Fall häufig: Je kürzer der Lauf, desto größer die Wahrscheinlichkeit, das Vorhaben tatsächlich eines Tages in die Tat umzusetzen. An der Farm des australischen Kartoffelbauern Cliff Young führte Anfang der 1980er Jahre der 875 Kilometer lange Ultra-Marathon von Sydney nach Melbourne vorbei. Nie zuvor hatte Cliff Young an einem Lauf teilgenommen, erst recht nicht an einem Ultra-Marathon. Doch von dieser außergewöhnlichen Veranstaltung, die sich Jahr für Jahr vor seiner Tür abspielte, war der Australier so begeistert, dass er beschloss, spontan teilzunehmen.

Ohne die passende Ausrüstung (Gummistiefel und Regenanzug) und im Alter von stattlichen 61 Jahren. Sein Training, so sagte er Reportern während des Rennens, habe daraus bestanden, drei Tage ohne Schlaf seine Schafherde zusammenzuhalten. Klingt unglaublich, doch der durchaus verbreitete Mythos will, dass sich genau das im Jahr 1983 so zugetragen hat. Ein wenig anders war es dann zwar doch, und einige Fakten müssen angeglichen werden. Unspektakulär wird die Geschichte dadurch jedoch nicht. Schon ein Jahr zuvor hatte Cliff Young monatelang in den Otway Ranges, einem australischen Bergland, trainiert, um einen Weltrekord aufzustellen. 1.600 Kilometer wollte er laufen, rund um den Colac Memorial Square. Nach 875 Kilometern musste er den Versuch allerdings abbrechen. Doch völlig unerfahren war er nicht, als er im folgenden Jahr beim „West- field Sydney to Melbourne Ultramarathon“ antrat – und siegte.

Ehre, wem Ehre gebührt

Schon wenige Minuten nach dem Startschuss lief der 61-Jährige den deutlich jüngeren Läufern des Starterfeldes hinterher. Doch er hatte ein unschlagbares Erfolgsrezept: Er schlief ein- fach weniger als seine Mitstreiter. Viel weniger. 18 Stunden laufen, sechs Stunden schlafen, so sah der Rhythmus der meisten Athleten während des etwa sechs Tage dauernden Rennens aus. Cliff Young hingegen schlief in der ersten Nacht gar nicht. Er holte auf, während sich seine Kontrahenten erholten, und gönnte sich auch in den folgenden Nächten nur kurze Ruhepausen. Am Ende erreichte er das Ziel mit etwa zehn Stunden Vorsprung vor dem Zweitplatzierten. Sein extrem langsamer und energiesparender Laufstil hat seitdem einen eigenen Namen – und bis heute adaptieren Ultra-Läufer immer wieder den „Young-Shuffle“.

Zu Ehren des unerwarteten Siegers etablierte sich noch im gleichen Jahr in Australien ein neuer Ultra- Lauf, das „Cliff Young Australian Six-Day-Race“, der bis ins Jahr 2006 hinein ausgetragen wurde. Im Jahr 2013, zehn Jahre nach dem Tod von Cliff Young, wurde die Geschichte des laufenden Kartoffelbauern und Volkshelden für das australische Fernsehen verfilmt.

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