Leistungsorientierte Sportler sind besonders gefährdet, ihren Körper krankhaft zu optimieren.
    • Der perfekte Körper

      Die Beschäftigung mit dem eigenen Körper hat für Sportler einen besonderen Stellenwert. Gewicht und Muskel-Fett-Verteilung zählen beim Laufen und anderen Sportarten zu den leistungsbestimmenden Faktoren. Der Drang nach Selbstoptimierung kann krankhafte Züge annehmen. Essstörungen, Maßlosigkeit im Training und suchtartiges Streben nach vermeintlicher Perfektion können lebensbedrohliche psychosomatische Krankheitsbilder generieren.

      Weltweite Vernetzung und sich rasant entwickelnde Selftracking-Optionen fördern den Drang zur konkurrierenden Eigenperfektionierung. Im leistungsorientierten Sport lässt sich schon länger eine deutliche Zunahme krankhafter Alterationen in Bezug auf Körperbildung, Leistungsfähigkeit und eigenes Figurideal beobachten. Über mediale Kanäle färbt das mehr und mehr auf den reinen Gesundheitssport ab. „Gesund gemeint“ wird immer häufiger zum Gegenteil von gesund. Drastische Veränderungen von Ernährungsweise und Trainingsgestaltung leisten psychosomatischen Erkrankungen Vorschub, die in einer Sucht nach irrationalen Idealen vom eigenen Körper münden: hyperschlank, leichtgewichtig, fettfrei, aber möglichst muskulös. Geradezu widersprüchliche Vorstellungen von praktizierter Nahrungsaufnahme, Leistungsfähigkeit und Körperbild führen in einen Teufelskreis aus extrem reduzierter, einseitiger, oft mit gefährlichen Supplementen angereicherter Ernährung einerseits und maßlosem Training andererseits. Die Inzidenz von Essstörungen im Verbund mit malträtierendem Training ist in Sportarten, für die ein geringes Körpergewicht und/oder ein niedriger Körperfettanteil relevant sind, deutlich erhöht.

      FRAUEN WERDEN MAGERSÜCHTIG – MÄNNER „ADONESK“

      Krankhaft ausartende Probleme mit dem eigenen Körperbild sind bereits in antiken Quellen beschrieben. Heute gelten fragwürdige Schönheitsideale und Optimierungsdruck in einer auf Leistung und Perfektion getrimmten Gesellschaft als Auslösefaktoren. Magersucht – Anorexia nervosa (nervlich bedingte Appetitlosigkeit) – wurde erstmals 1873 als offizielles Krankheitsbild mit unbändigem Bewegungsdrang als Begleitsymptom beschrieben.

      Die nach heutigem Kenntnisstand vielfältigen Auslöser schließen genetische, familiäre und sozioökonomische Faktoren ein. Ein niedriges Selbstwertgefühl scheint im Zentrum der Problematik zu stehen. Lange haftete der Krankheit das Image einer Macke pubertierender Mädchen an – eine banalisierende Fehleinschätzung. Magersucht ist eine multifaktoriell ausgelöste Suchterkrankung, die beide Geschlechter auch in höherem Lebensalter betrifft und mit messbaren Veränderungen im Hirnstoffwechsel sowie einer hohen Mortalitätsrate (ca. 15 Prozent) einhergeht.

      Wenngleich 80 bis 90 Prozent der registrierten Magersuchtfälle das weibliche Geschlecht betreffen, muss die Einordnung als Mädchenkrankheit revidiert werden. Zum einen sind keineswegs nur Mädchen/junge Frauen betroffen. Lange Krankengeschichten erstrecken sich bis in das siebte Lebensjahrzehnt. Zum anderen wird bei Männern eine hohe Dunkelziffer und abweichende Symptomatik angenommen. Die Scham, als verweichlicht zu gelten, und eine geringere Therapiebereitschaft halten Betroffene davon ab, sich zu ihrer anorektischen Störung zu bekennen. Daran ändern auch die Outings einiger prominenter Sportler nichts.

      PSYCHOSOMATISCHE „EFRAUZIPATION“

      Wenn es um das Hadern mit der eigenen Figur geht, haben sich die Männer „efrauzipiert“. Überschlank, fettfrei, muskelbepackt oder optimal definiert sind zu Symbolen von Männlichkeit geworden – der vermeintlich perfekte Körper zum zwanghaften „Muss“. Leistungsorientierte Sportler sind besonders empfänglich für die wahnhafte Empfindung, nur der Optimal-Leib werde den selbst auferlegten Postulaten gerecht. Die Balance zwischen Trainingspensum und adäquater Nahrungsaufnahme gerät zunehmend aus der Balance. Immer restriktivere Lebensmittelauswahl mit dem Fokus auf geringer Energiedichte lassen den Körperfettanteil bedrohlich sinken, bis Änderungen im Hirnstoffwechsel eine Abwärtsspirale in Gang setzen.

      WENN IMMER MEHR ZU WENIG WIRD

      Der Adoniskomplex wurde zunächst als maskuline Muskelsucht zum Aufbau fettfreier Muskelmasse definiert. Heute wird der Begriff allgemeiner für psychosomatische Ess- und Verhaltensstörungen gebraucht, die dem Erreichen eines für perfekt erachteten männlichen Körperbildes und vermeintlich maximaler Leistungsfähigkeit dienen. Wie dieser perfekte Körper beschaffen sein soll, hängt von den persönlichen Einstellungen und Zielen sowie vom Erwartungsdruck des Umfelds ab. Die Nahrungsmittelselektion und Trainingsgestaltung sind demzufolge je nach Personentyp und Sportart (Läufer, Bodybuilder, Skispringer) unterschiedlich.

      ADONISKOMPLEX: SICH SUCHTARTIG VERSTÄRKENDER ZWANG, DAS BILD DES ALS PERFEKT ERACHTETEN ATHLETEN ZU ERREICHEN. RESTRIKTIVE NAHRUNGS-/ENERGIEAUFNAHME, AUSUFERNDES TRAINING UND OFT ABUSUS VON NAHRUNGSERGÄNZUNGSMITTELN, ANABOLIKA ODER MEDIKAMENTEN (DIURETIKA, ABFÜHR-, SCHMERZMITTEL) WERDEN ZUM LEBENSMITTELPUNKT.

      Text: Dr. Stefan Graf, entnommen aus aktivLaufen 2/17
      Bild: GettyImages
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