Forever Young
Dass Laufen jung hält, klingt nach einer Plattitüde. Doch die Wissenschaft kann heute belegen, dass der Zahn der Zeit an Läufern langsamer nagt und das Bild der „jungen Alten“ Realität sein kann.
Jeder will es werden, keiner will es sein: alt! Nun ja, auch der gesündeste Lebensstil kann an unserem kalendarischen Alter nichts ändern, wohl aber am Zustand, in dem wir ein bestimmtes Lebensalter erreichen. Die Epigenetik befasst sich mit den Wirkungen der individuellen Lebensweise auf die Aktivität unserer Gene. Sie liefert ständig neue Hinweise darauf, dass das biologische Alter jedes Einzelnen maßgeblich durch die Art und Weise beeinflusst wird, wie er sich ernährt, mit schädlichen Einflüssen wie Nikotin und Alkohol umgeht, wie gestresst und sozial eingebunden er ist und besonders auch, wie regelmäßig und auf welche Weise er sich bewegt.
Die Macht der Gene
Schauen wir uns die Hitliste der Anti-Aging-Wirkungen des Laufens doch genauer an und starten mit dem Zentrum der Macht – unseren Genen. Das sind jene rund 22.000 Informationseinheiten im Kern jeder Zelle, die all unsere Grundeigenschaften bestimmen und auch festlegen, ob uns die körperliche Proportionen eines Eliud Kipchoge für eine Läuferkarriere prädestinieren oder nicht.
Um die Gene – unsere DNA – vor Schäden zu bewahren, denen jeder Mensch durch unzählige Schadstoff- und Strahlenbelastungen ausgesetzt ist, verfügen die Zellen über eine potente Schutz- und Reparaturmaschinerie. Einer dieser Schutzmechanismen steht heute besonders im Blickpunkt Im Laufe des Lebens werden diese „Telomere“ genannten Protektoren mit jeder Zellteilung immer kürzer. Bevor sie ganz aufgebraucht sind, reduziert der alternde Organismus seine Zellteilungsaktivität oder startet sogar einen Notfall-Algorithmus – den „programmierten Zelltod“.
Anti-Aging
Diese Maßnahmen sollen verhindern, dass unsere nicht mehr durch Telomere geschützten Gene Schaden nehmen. Logisch, dass das Gewebe dann nicht mehr erneuert wird – wir altern! Oh, oh, das klingt bedrohlich. Da ist es doch gut zu wissen, dass wir Läufer mit jedem Schritt einen Anti-Aging-Mechanismus bedienen – eine Art „Smart Repair“ für Telomere. Molekularbiologen haben herausgefunden, dass regelmäßiges Laufen die Verkürzung der Telomere bremst. Das wird offenbar durch die Aktivierung eines speziellen Enzyms – Telomerase genannt – erreicht, das der Verkürzung der Telomere entgegenarbeitet.
Dies ist ein Paradebeispiel für die epigenetische Positivwirkung des Lebensstils. Durch das Laufen werden biochemische Mechanismen in Gang gesetzt, die dafür sorgen, dass „gute Gene“ aktiviert werden – in diesem Fall das „Telomerase- Gen“. Dadurch wird mehr von dem Enzym hergestellt, das der Alternsforschung. Es handelt sich dabei um besondere Schutzkappen, die wie die kleinen Plastikteile an den Schnürsenkel-Enden unserer Laufschuhe die DNA-Enden vor Beschädigung schützen die Schutzkappen intakt hält und unsere DNA vor jenen Beschädigungen bewahrt, die uns altern lassen. Vermutlich ist dieser Mechanismus der bedeutendste, mitnichten aber der einzige Jungbrunnen, mit dem jene belohnt werden, die regelmäßig die Laufschuhe schnüren.
Mit Bedacht trainieren
Ein vielseitiges, aber insgesamt moderates Sporteln mit hohem Anteil ausdauersportlicher Aktivität, wobei die Regeneration nicht zu kurz kommen darf, stärkt das Immunsystem und macht es dem Zahn der Zeit deutlich schwerer, seine Spuren zu hinterlassen. An dieser Stelle muss aber auch mahnend der Zeigefinger erhoben werden: In einer zunehmend von Leistung und Erfolgsstreben dominierten Gesellschaft wächst die Zahl derer, die mit ihren sportlichen Zielen über ein gesundes Maß hinausschießen.
Jedem Breitensportler sei sein Marathon gegönnt, aber mittlerweile muten sich auch Hobbyathleten Ultrabelastungen – oft in Kombination mit unzureichender Regeneration – zu, die mit Gesundheitssport wenig gemein haben.
Hochleistungssport stellt das Immunsystem der Profis auf die Probe, aber die werden medizinisch gut betreut. Wenn wir Normalläufer nur auf dem Gaspedal stehen, spannen wir unser Immunsystem arg für die Beseitigung zahlreicher Verletzungen und Wehwehchen ein. Für die Abwehr krank machender Viren und Bakterien bleibt dann kaum noch trockenes Pulver im Arsenal. Ein geschwächtes Immunsystem ist ein hochrelevanter Motor für Alterungsprozesse.
Für die Laufpraxis muss das nun nicht gleich „In der Ruhe liegt die Kraft“ bedeuten, aber wer permanent überpaced, macht es Krankheitserregern leichter. Wer dagegen mit Bedacht trainiert und nur hin und wieder an seine Leistungsgrenze geht, wird den kleinen Fieslingen erfolgreich Paroli bieten können.
Schön geschmeidig bleiben
Immobilität und Muskelabbau sind die Hauptverantwortlichen für Gebrechlichkeit im Alter. Schon ab dem 30. Lebensjahr geht es mit der Muskelmasse bergab. Wie schnell das aber passiert, hängt von der körperlichen Aktivität ab. Bewegungsmuffel verlieren pro Jahr bis zu einem Prozent ihrer Muskulatur bei gleichzeitigem Anstieg des ungeliebten Fettanteils. Da kann sich jeder ausrechnen, wie weich die „Restmuckis“ bei einem 65-jährigen Couch-Potato dann sind und wie stark das den unterforderten Energiestoffwechsel in Mitleidenschaft zieht.
Schwache Muskeln erhöhen Sturz- und Verletzungsrisiken. Damit nicht genug, es wird auch noch die Heilung verlangsamt, wenn der muskelarme Körper zu schwach für ausreichend Mobilisierung ist – ein wahrer Teufelskreis. Nun mag man meinen, dass Laufen zum Erhalt der Muskulatur weit weniger hilfreich sei als ein gezieltes Muskeltraining. Stimmt aber so nicht.
Die besondere Bedeutung des Ausdauertrainings liegt in der herausragenden Wirkung auf die Effizienz des Energiestoffwechsels und in dem, was die Experten „Vaskularisierung“ nennen. Darunter versteht man die durch Ausdauerbelastungen angestoßene Neubildung von Blutgefäßen. Diese ermöglicht eine deutlich bessere Nährstoffversorgung der Muskeln, die so auch auf Krafttrainingsreize viel besser ansprechen. Das Optimum für den Muskelerhalt bis ins hohe Alter liegt also in der richtigen Mixtur aus Ausdauer- und Muskeltraining. Und das Laufen ist hier die unschlagbare Ausdauervariante, da es praktisch alle Muskelgruppen anspricht.
Dass Laufen die Hüft-, Knie- und Fußgelenke schneller altern lässt, weil es den Verschleiß – die gefürchtete Arthrose – forciert, ist vor allem eine Ausrede derer, die dem Laufen nichts abgewinnen können. Natürlich bestehen erhöhte Abnutzungsgefahren für jene, die übergewichtig sind oder es mit dem Marathonlaufen vor allem auf harten Untergründen übertreiben oder einen fehlerhaften Laufstil praktizieren und obendrein mit schlechtem Schuhwerk unterwegs sind.
Aber dass tägliche Bewegung für all unsere Gelenke der wichtigste Parameter zur Vermeidung von frühzeitiger Arthrose ist, steht seit langem außer Frage. Im Zentrum des Geschehens stehen dabei die Gelenkknorpel. Sie überziehen die miteinander in Verbindung stehenden Knochenstrukturen, um sie vor sehr schmerzhaftem Abrieb zu schützen und Stöße abzudämpfen. Das Problem dabei: Knorpel sind nicht von Blutgefäßen durchzogen, Sie haben also keine eigene Nährstoffversorgung. Damit sie nicht „verhungern“ und spröde werden, müssen die benötigten Nährstoffe mit der Gelenkflüssigkeit regelrecht in den Knorpel „eingewalkt“ werden. Moderates Laufen ist hier ein idealer „Masseur“, und das nicht nur für die Beingelenke.
Durch die Oberkörperbeteiligung profitieren auch die Gelenke von Schulter, Armen und Rücken. Die Nährstoffe transportierende Gelenkflüssigkeit – im Fachjargon „Synovia“ – erfüllt auch eine wichtige Schmierfunktion. Ähnlich dem Getriebeöl in einem Auto, das nicht bewegt wird, verwässert auch die „ölige“ Synovia, wenn sie nicht regelmäßig in Wallung gebracht wird – zum Beispiel durch Laufen. Ein weiterer Pluspunkt: Bei der gleichmäßigen Laufbewegung treten keine großen Scherkräfte auf, wie sie etwa bei weniger gelenkfreundlichen Ballsportarten unvermeidbar sind.
Einmal zerstörter Gelenkknorpel ist unwiederbringlich verloren. Daher sollten wir „laufend“ alles dafür tun, ihn und damit unsere Gelenke in Schuss zu halten, um möglichst lange mit einen bewegten Organismus biologisch jung zu bleiben. Dass nicht einmal langjähriges Marathonlaufen den Gelenken schaden muss – sofern man es mit Vernunft praktiziert –, haben 2018 Orthopäden der Thomas Jefferson University in Philadelphia bei einer Studie zur Gelenkgesundheit von 675 Marathonis aus 31 Nationen gezeigt. Die im Schnitt 48 Jahre alten Athleten mit einem Trainingspensum von etwa 60 km pro Woche und regelmäßigen Marathonteilnahmen seit 20 Jahren litten nur halb so oft an Arthrose wie der Bevölkerungsdurchschnitt.
Fit im Kopf
Mit „Gehirnjogging“ wird ja eher das Training der „Grauen Zellen“ umschrieben. Aber auch das Joggen mit den Beinen kann viel zur Jungerhaltung des Oberstübchens beitragen. Neurowissenschaftler der Universität Ulm haben in einen interessanten Studienansatz eruiert, dass ihre Probanden bereits nach viermonatigem Lauftraining unerwartet deutliche Verbesserungen ihrer Konzentrationsfähigkeit, ihres visuell-räumliches Gedächtnisses und ihrer positiven Stimmungslage zeigten. In Folgeuntersuchungen konnten die Forscher einen günstigen Einfluss auf den Stoffwechsel des „Glückshormons“ Dopamin nachweisen, und Ableitungen der Hirnströme (EEG) zeigten, dass die trainierten Personen eine schnellere und effizientere Reizverarbeitung aufwiesen.
Kurz gesagt: „Mens sana in corpore sano“ (ein gesunder Geist in einem gesundem Körper) oder: Laufen hält auch das Gehirn jung. Keep on running Ab wann wir erste Symptome des Alterns verspüren und wie schnell dies voranschreitet, ist nicht nur Schicksal. Natürlich merken wir alle irgendwann, dass wir längere Regenerationsphasen benötigen, nicht mehr so antrittsschnell und vielleicht auch verletzungsanfälliger sind. Aber warum der eine schon mit 40 „alt“, die andere noch mit 60 jugendlich frisch ist, hängt nicht nur von den Genen ab. Die Wissenschaft kann heute belegen, was früher nur Erfahrung war: Wer läuft und insgesamt gesund lebt, bleibt länger jung!
Die Top 5 der Anti-Aging-Wirkungen
• 1: Laufen schützt die DNA epigenetisch.
• 2. Laufen verlangsamt den altersbedingten Muskelabbau.
• 3. Laufen (moderat) stärkt das Immunsystem.
• 4. Laufen hält Knochen und Gelenke geschmeidig.
• 5. Laufen ist zugleich Gehirnjogging.
Text Dr. Stefan Graf