Grundlagen schaffen
Der Jahreskalender wird immer dünner, dafür ist der Wettkampfkalender für das neue Jahr prall gefüllt. Eine erfolgreiche Wettkampfteilnahme ist nicht nur das Ergebnis aus einer Menge Lauftraining. Verschiedene Trainingsformen spielen eine entscheidende Rolle.
Text: Carsten Stegner
Wer bei einem Halbmarathon oder gar einem Marathon am Start stehen möchte, muss eine ordentliche Grundlage schaffen. Diese wird erst durch einen gezielten 12-Wochen-Trainingsplan perfektioniert. So ist gewährleistet, dass das Rennen nicht zur Tortur wird und Sie auch danach wieder gerne an der Startlinie stehen werden.
Das Grundlagentraining dürfen Sie sich vorstellen wie das Fundament einer Pyramide. Ist dieses nicht breit genug, wird die Pyramide auch nicht besonders hoch. Durch die sogenannte Trainingsperiodisierung setzt man auf dieses Fundament durch gezielte Trainingsmaßnahmen nach und nach weitere Ebenen, bis zum Tag X die Spitze der Pyramide und somit Ihre absolute Leistungsfähigkeit erreicht ist. Es folgt eine Phase der Regeneration, bevor man in die nächste Trainingsperiode einsteigt.
Grundlage zu schaffen heißt nicht, endlos „leere Kilometer“ zu sammeln. Auch in dieser Phase können und sollen schon vorsichtige Reize gesetzt werden. Durch diese Anpassung (Adaptation) an Trainingsreize, wird der Körper für den nächsten Schritt vorbereitet. Statt jetzt schon knallharte Tempoeinheiten zu absolvieren, setzt man eher auf Fahrtspiele oder lockere Steigerungen im Rahmen der Dauerläufe. So wird verhindert, dass Sie zu früh in Topform kommen, welche Sie nicht bis zum entscheidenden Tag halten können.
Achten Sie in dieser Phase weniger auf die Pace, sondern vielmehr auf Ihr Körpergefühl. Angelehnt an die Zielzeiten rund um den visualisierten Trainingsplan, sollten die langen Einheiten sukzessive auf 90 Minuten ausgedehnt werden, aber 105 Minuten nicht überschreiten.
Sinnvolles Krafttraining
Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um für die nötige Kraft zu sorgen. Diese konditionelle Grundeigenschaft beeinflusst die sportliche Leistungsfähigkeit, ermöglicht ein dynamischeres Laufen und schützt vor Verletzungen, indem die Muskulatur ihrer Stützfunktion besser nachkommen kann. Für ein sinnvolles Krafttraining müssen nicht massig Gewichte gestemmt werden. Wir Läufer bedienen uns hier unseres eigenen Körpers. Halteübungen, Bauch- und Rückentraining zur Verbesserung der Rumpfstabilität, Kniebeugen, Wadenheben auf Treppenstufen, Stärkung des Hüftbeugers durch Kniebeugen im Ausfallschritt sind Kraftübungen, die wir ohne zusätzliche Geräte durchführen können. Mit Sling-Trainer, Pezziball und einem Balancebrett können Sie aus Ihrem Wohnzimmer ein vollwertiges Fitnessstudio machen.
Equipment
Machen Sie sich schon in der Anfangsphase Ihrer Vorbereitung mit Ihrem Equipment vertraut.
Laufschuhe
Welcher Laufschuh soll Sie an Ihr Ziel bringen? Nutzen Sie Ihren Wettkampfschuh auch schon im Training. Laufen Sie diesen auf verschiedenen Untergründen und achten Sie auch ganz bewusst darauf, wie Ihr Gefühl in diesem Schuh ist. Insbesondere wenn Sie einen Marathon geplant haben, muss sich Ihr Fuß deutlich länger in diesem Schuh wohlfühlen als im Training. Nehmen Sie nicht den leichtesten Schuh. Denn durch die besondere Belastung im Wettkampf wird auch die Stützmuskulatur im Fuß extrem belastet. Ein etwas stabilerer Schuh wird in der Ermüdungsphase einen größeren Zweck erfüllen, als ein leichter Schuh an Gewichtsersparnis mit sich bringt.
Ober- und Unterbekleidung
Gehen Sie auch hier keine neuen Wege. Tragen Sie eine Bekleidung, die Sie schon kennen. Sie wissen selbst, in welchem Kleidungsstück Sie sich am wohlsten fühlen und ob es eventuell irgendwo zu Reibungsstellen kommen könnte. Denken Sie daran, dass Sie beim Wettkampf länger und intensiver schwitzen werden als im Training. Besonders empfindliche Hautstellen sollten Sie mit Vaseline oder einer speziellen Creme einreiben, damit diese sich nicht wund scheuern.
GPS-/Pulsuhr
Beschäftigen Sie sich schon im Training mit den Funktionen Ihrer Sportuhr und sorgen Sie für einen vollen Akku vor dem Start. Welche Einstellungsmöglichkeiten gibt es, und welche Anzeige ist für den Wettkampf am sinnvollsten? Spielen Sie nicht während des Wettkampfes an der Uhr herum. Achten Sie auf Ihr Körpergefühl und vertrauen Sie nicht alleine der Technik.
Mentaltraining
Frei nach dem Matthäusevangelium („Das Fleisch ist willig, aber der Geist ist schwach“) hängt die erfolgreiche Wettkampfteilnahme auch von Ihrer inneren Einstellung ab.
Mit der Zielfindung haben Sie schon den ersten Beitrag in der mentalen Vorbereitung geleistet. Ihre psychische Stärke und Flexibilität ist während der gesamten Vorbereitung bis zum Überschreiten der Ziellinie von großer Bedeutung. „Gewonnen und verloren wird zwischen den Ohren!“ – auch wenn am Ende die körperliche Leistungsfähigkeit den größten Anteil am Erfolg hat, ist der Kopf oft das Zünglein an der Waage!
Stress vermeiden
Eine gewisse Aufregung vor dem Wettkampf ist wichtig. Hierdurch wird u. a. Adrenalin ausgeschüttet. Dies sorgt durch die blutzuckersteigernde Wirkung für eine höhere Leistungsbereitschaft, die Lungengefäße werden erweitert, wodurch eine bessere Sauerstoffaufnahme gegeben ist. Zu viel Aufregung raubt Ihnen wichtige Energie, die dann in der Belastungssituation des Wettkampfes fehlt. Ähnlich der Prüfungsangst droht im schlimmsten Fall ein „Blackout“ und Sie werden bewegungsunfähig. Wenn Sie regelmäßig unter großer Nervosität leiden, ist es sehr ratsam, mit Yoga, autogenem Training oder anderen Entspannungstechniken dauerhaft Abhilfe zu schaffen.
Routine gewinnen
Nehmen Sie die Möglichkeit wahr, in der Vorbereitung an unterschiedlichen Wettkämpfen teilzunehmen. Diese lassen sich auch gut in Ihr Training integrieren und sorgen für eine gewisse Routine. Abläufe gehen in Fleisch und Blut über, und Sie können sich an Ihrem großen Tag auf die wesentlichen Sachen konzentrieren.
Auch wird es Ihnen mit der Zeit leichter fallen, den inneren Schweinehund zu besiegen, weil der Flow, den Sie beim Überqueren der Ziellinie verspüren, viel größer ist als das Verlangen, der Anstrengung nachzugeben.
Routine bringt Sicherheit und verbessert Ihre kognitiven Fähigkeiten, wodurch Ihnen mehr Energie für die Erreichung Ihres Ziels zur Verfügung steht.
Spirituelle Energie
Ein anderer, aber mitunter auch guter „Energielieferant“ ist das Ritual. Der Glaube versetzt bekanntlich Berge, und vielleicht haben Sie ja auch ein bestimmtes Ritual. Ein ganz bestimmtes Trikot, ein Glücksstein in Ihrer Sporttasche, die Reihenfolge wie Sie Ihre Sportschuhe schnüren etc. Nutzen Sie diese spirituelle Energie.
Informationsbeschaffung
Gewinnen Sie so viele Informationen über Ihren Wettkampf wie möglich. Vielleicht haben Sie jemanden in Ihrem Bekanntenkreis, der bereits an dieser Veranstaltung teilgenommen hat. Hierbei sind natürlich sämtliche Infos rund um die Veranstaltung und vor allem zur Strecke von großer Bedeutung. Wo parkt man am besten? Gibt es besondere Steigungen, wie ist der Untergrund, wie viele Verpflegungsstationen sind vorhanden, wo stehen diese und was wird dort angeboten?
Bringen Sie die gewonnenen Informationen auch in Ihr Training ein. Verträgt Ihr Magen die angebotenen Getränke? Sollte es einen steilen Anstieg geben, dann suchen Sie auf Ihrer Trainingsrunde einen ähnlichen Anstieg. Laufen Sie diesen in unterschiedlichen Belastungssituationen und verbinden Sie Positives (Musikstück, Natur, Wetter usw.) mit diesem Teilstück. Wie oben beschrieben, wird diese Belastung zur Routine und für Sie zum Kinderspiel.
Trainingsrückschläge wegstecken
Lief Ihre Vorbereitung nicht immer optimal? Das ist ganz normal! Ob Sie auf die ein oder andere Trainingswoche wegen Krankheit verzichten mussten, Sie so manche Geschwindigkeitsvorgabe im Training nicht schafften oder die geplante Kilometerzahl nicht erreichten, das ist völlig irrelevant! Auch ein Weltmeister musste in seiner Vorbereitung Rückschläge hinnehmen. Sie müssen nur im Kopf richtig damit umgehen! In der letzten Phase Ihrer Vorbereitung das verpasste Training nachzuholen bringt gar nichts. Im Gegenteil, es wird Sie überfordern und noch unsicherer machen. Glauben Sie an sich selbst, und seien Sie von Ihrer geleisteten Arbeit überzeugt. Ihre Trainingsunterlagen beweisen, dass Sie Ihre Hausaufgaben gemacht haben! Sie müssen jetzt nur noch die Ernte einholen.
Plan B
Trotz bester Vorbereitung kann es passieren, dass im Wettkampf nicht alles wie am Schnürchen läuft. Machen Sie sich schon davor Gedanken, was Sie erwarten könnte und erstellen Sie für diese eventuellen Fälle einen „Plan B“. Beziehen Sie auch das schlimmste Szenario in Ihre Überlegungen ein, nämlich, das Rennen vorzeitig zu beenden, wenn eine ernsthafte Verletzung droht. Ihr Bewusstsein hat diese Situation dann schon durchgespielt, und Sie werden trotz einer neuen Stresssituation rational handeln.
Positiv denken
Sie sind perfekt vorbereitet, jetzt, nach dem Startschuss, müssen Sie es nur noch umsetzen. Lassen Sie keine schlechten Gedanken zu, und schieben Sie nichts auf äußere Umstände wie z. B. das Wetter. Denken Sie positiv: „Bei kühlem oder gar nassem Wetter bin ich noch leistungsfähiger!“ Suchen Sie nicht nach Ausreden, wenn es gerade nicht so gut läuft, sondern überlegen Sie, wie Sie dem entgegenwirken können. Denken Sie immer daran, dass auch alle anderen Läufer „nur mit Wasser kochen“, und was der vor Ihnen kann, das können Sie auch!
Infos zu unserem Autor:
Carsten Stegner, passionierter Trail- und Ultramarathonläufer
- Alter: 40
- Wohnort: Nürnberg
- Sportliche Erfolge: Deutscher Meister im 100-km-Straßenlauf 2015, Team-Bronzemedaille Ultratrail WM 2013)
- Beruf: Polizeibeamter und Laufcoach