Gummiband
Fotos: Helge Tscharn

Schmerzfrei mit Gummiband

Flossing kennen die meisten nur von der regelmäßigen Zahnhygiene. In diesem Artikel dreht sich aber alles um ein Gummiband, das zur Bewegungserweiterung und Schmerzlinderung eingesetzt wird.

Heutzutage sind Faszienrollen sicherlich in fast jedem Läufer-Haushalt zu finden: Groß, klein, mini, duo, als Ball oder gar mit Vibrationsfunktion. Die beliebten „Foamroller“ sind in den verschiedensten Formen, Farben, Größen und Variationen erhältlich. Die Massagerollen zur Lockerung verklebter Faszien sind dabei kostengünstig und effektiv. Zumindest subjektiv gesehen. Denn wie beim Stretching ist die Wirksamkeit der Schaumstoffrollen wissenschaftlich bislang noch gar nicht ausreichend nachgewiesen worden. Aber wie so oft gilt auch hier: Tu, was dir guttut. Solange sich Verletzungen durch regelmäßiges Rollen vermeiden lassen und sich die müden Muskeln nach einer ausgiebigen Behandlung wieder frisch anfühlen, wird kein Experte der Welt vom Faszienrollen abraten. Allerdings halten immer wieder neue Behandlungsmethoden Einzug in die Therapie. Einer der momentan führenden Trends ist das sogenannte „Flossing“.

Gummiband: Wie in Römerzeiten

Eins kann man schonmal vorwegnehmen: Im Sport hat „Flossing“ nichts mit der Zahnhygiene zu tun. Selbst wenn sich eine gute Zahngesundheit positiv auf die eigene Leistung auswirken kann. Nein, „Flossing“ ist im sportlichen Sinne eine spezielle Taping-Methode, bei der elastische Gummibänder um Gelenke und Gewebe gewickelt werden. Diese neuartige, manuelle Therapie wird hauptsächlich zur Schmerzlinderung und zur Verbesserung der Beweglichkeit eingesetzt. Sie kann sowohl zur Prävention als auch zur Rehabilitation von Verletzungen angewandt werden. Hauptsächlich wird dies erreicht, indem die Mobilität der Gelenke, der Muskeln, der Haut, der Faszien und des Gewebes trainiert wird.

Seinen Ursprung findet das „Flossing“ in den Schnürtechniken der römischen Gladiatoren. Beim „Medical Flossing“ arbeitet man allerdings mit elastischen Bändern. Entwickelt wurde diese Technik durch den US-amerikanischen Physiotherapeuten und Fitnesstrainer Dr. Kelly Starret. Bereits im Jahr 2014 veröffentlichte er das Buch „Werde ein geschmeidiger Leopard: Die sportliche Leistung verbessern, Verletzungen vermeiden und Schmerzen lindern“, in welchem er seine Ideen und Handlungsweise des „Flossing“ der Öffentlichkeit zugänglich macht.

Schmerzen mit Schmerzen behandeln

Nicht nur die Technik datiert aus alten Römertagen – auch die Durchführung ähnelt den brutalen Gladiatorenkämpfen. Denn die Behandlung mit den Flossing-Bändern ist durchaus unangenehm. Die Latex-Bänder sind in verschiedenen Stärken und Längen erhältlich; üblich sind Flossing-Bänder aber in zwei Meter Länge und fünf Zentimeter Breite. Unabhängig von der Bandstärke spielt der Zug, mit dem das Band auf der Haut fixiert wird, die entscheidende Rolle. Er variiert – je nach Behandlungsfortschritt und Patientenempfinden – zwischen einem Zug von 50 bis 90 Prozent. Das gleiche Anwendungsprinzip kennen wir auch schon beim Einsatz von „Kinesio Tapes“.

Durch Anbringung des Flossing-Bands mit aufbauender Spannung auf dem zu behandelnden Körperbereich entsteht eine fasziale Blockade. Das Gewebe wird abgebunden und alle fließenden Ströme in diesem Bereich werden unterbrochen. Außerdem wirkt ein enormer Druck von außen auf alle Strukturen. Jetzt wird die abgeschnürte Muskelpartie möglichst aktiv bewegt, um selbst hartnäckige Verklebungen zu lösen. Schon während der Übung ändert sich nicht nur die Elastizität des Gewebes, sondern auch der Muskel- sowie der Faszien-Tonus – dank des strammgespannten Flossing-Bands kommen die verschiedenen faszialen Schichten in Bewegung. Und jetzt kommt der eigentliche Trick beim „Flossing“: Nach der kurzen Aktivierung wird das Band wieder abgewickelt – frisches Blut und Lymphe schießen in den betroffenen Bereich. Diese nährstoffreichen Flüssigkeiten sorgen für die Genesung des Gewebes.

Gummiband

Nur unter Aufsicht!

Beim Flossing schnürt man zu behandelnde Bereiche unter hohem Druck auf die jeweiligen Körperteile ab, um die Blutzufuhr kurzfristig zu unterbinden. Daraus resultieren eine Verfärbung der Haut, (kurzfristig) starke Schmerzen und ein Taubwerden von Extremitäten. Aus diesem Grund solltest du das „Flossing“ ausschließlich mit einem ausgebildeten Experten praktizieren. Denn ohne entsprechende Erfahrung oder jemanden, der die Therapie überwachen kann, wird die Behandlung gefährlich. Zudem muss der Therapeut natürlich Kontraindikatoren abklären und das richtige Flossing-Band auswählen.

Effekte und Wirkprinzipien

Beim „Flossing“ entsteht ein Unterdruck im Gewebe: Aufgrund des Blutstaus vor der behandelten Körper-Partie wird verstärkt arterielles Blut gesogen und geschoben. Die gesteigerte Nähr- und Sauerstoffversorgung sollen Heilungs- und Regenerationsprozesse positiv beeinflussen und so die körpereigenen Heilungsprozesse anstoßen. Die Wirkung der Bänder basiert auf drei Grundprinzipien.

1. Kinetic Resolve

Unter „Kinetic Resolve“ versteht man das Lösen von Verklebungen, sogenannten Adhäsionen, um verhärtete Gewebeschichten der Unterhaut, die Faszien, Muskeln und Sehnen zu lockern und wieder gleitfähig zu machen. Beim „Flossing“ wird für das „Kinetic Resolve“ an der behandelten Stelle ein starker Druck aufgebaut. Durch zusätzliche Bewegungen, die du oder der Physiotherapeut durchführt (also aktiv oder passiv) werden die betroffenen Gewebe intensiv entzerrt und Adhäsionen gelöst. Der Effekt kann noch verstärkt werden, wenn der Therapeut den zu behandelnden Bereich mit beiden Händen gegenläufig verdreht – ähnlich wie beim Auswringen eines nassen Handtuchs. Das ist allerdings besonders schmerzhaft. Generell ist die Therapie für Patienten sehr ungewohnt und durchaus unangenehm – die Behandlungsdauer beim Flossing sollte je nach Belastbarkeit ein bis drei Minuten daher nicht überschreiten.

2. Subkutante Irritation

Schmerzempfindungen können reduziert werden, weil unsere Schmerzwahrnehmung durch verschiedenste Stimulationen beeinflusst werden. Wer sich den Kopf stößt, reibt sofort unbewusst kräftig mit der Hand den schmerzenden Bereich, wodurch der lokale gefühlte Schmerz oder das Schmerzempfinden abnimmt. Diese Verdrängung von Schmerzen durch Überlagerung anderer Schmerzen findet durch „Irritation“ unter der Haut (subkutan) statt. Bei der Flossing-Behandlung nimmt der Patient den starken Druck zwar deutlich wahr, gleichzeitig nimmt jedoch der Bewegungsschmerz durch die erzeugte „subkutane Irritation“ ab. Man spricht dabei auch von „Schmerzfrei durch Abschnüren“.

3. Schwammeffekt

Das Verschnüren von Muskeln oder Gelenken ruft einen starken Druck hervor, der die Blutzufuhr kurzfristig unterbindet, Flüssigkeiten aus dem behandelten Gewebe auspresst und zum Teil neben den Flossing-Bändern aufstaut. Nachdem das Latex-Band entfernt wird, löst sich dieser Stau auf. Frische, nährstoffreiche Flüssigkeit strömt dann in den behandelten Bereich. Gleichzeitig werden die aufgestauten Schadstoffe ausgespült und abtransportiert. Dieser Stau- und Spülvorgang regt das Wachstum und die Erneuerung der Zellen im Gewebe an.

Gummiband: Wenn alle Stricke reißen

Wie bereits erwähnt, gibt es bislang keine eindeutige Studienlage zum „Flossing“. Es besteht zwar die Überzeugung, dass die Therapie Beweglichkeit und Leistung verbessern, die Genesung beschleunigen und die durch verschiedenste Krankheiten oder Verletzungen verursachten Schmerzen lindern kann – kein Wunder also, warum „Flossing“ Einzug in die Physio-Praxen dieser Welt gehalten hat. Allerdings ist die Datenlage zur Effektivität von „Flossing“ trotz einer zunehmenden Anzahl an Publikationen noch unzureichend.

Doch wir sind uns ja auch darüber einig, dass weder regelmäßiges Stretching mit einem Gummiband noch die qualvollen Einheiten auf der Faszienrolle keine wissenschaftliche Evidenz zugrunde liegt – eine „Flossing“-Session mit dem Physiotherapeuten kann bei hartnäckigen Schmerzen und Beschwerden also der goldene Weg zur Schmerzfreiheit sein. Ein Versuch ist es allemal wert!

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