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Ich könnt den ganzen Tag laufen!

So ’ne Runde Sommer macht schon mächtig viel Laune, und dazu habe ich mir noch was gegönnt. Ich bin gereist – ich habe mir Zeit genommen für beste Gespräche über das Leben und das Laufen. Ich habe mich mit einigen meiner Laufhelden getroffen. Es geht um das im Sommer erscheinende Buch von Ralf Kerkeling und mir. Nach Mailand ging mein erster Trip, um das abgesagte erste Treffen mit Marco Olmo nachzuholen.

Er holt mich ab, und wir suchen uns ein schönes ruhiges Restaurant für unser Gespräch, das über einen ganzen langen – und trotzdem zu kurzen – Nachmittag geht. Marco Olmo ist mein persönlicher Laufheld. Ich habe es eigentlich gar nicht so mit Vorbildern, habe aber Riesenrespekt vor Lebensleistungen. Marco ist einer der besten Trailläufer der Welt. Ich lerne ihn 2007 beim Marathon des Sables in der Sahara kennen. Kennenlernen ist zu viel gesagt. Man erzählt mir vor Ort von ihm. Ich hatte vorher nie etwas von ihm gehört. Ich beobachte ihn. Das alles sehr zurückhaltend, weil ich merke, dass Marco kein Typ ist, den man einfach anspricht. Er ist zurückgezogen. Eigentlich ist er sehr schüchtern, und das ist etwas, was ich immer respektiere. Kurz nach dem Wüstenlauf startet er beim Ultra-Trail du Montblanc.

Ich habe seine Geschichte bereits in der letzten Kolumne kurz angerissen. Der UTMB ist zu dieser Zeit mit 160 Kilometern und fast 10.000 positiven Höhenmetern die offizielle Weltmeisterschaft im Traillaufen. Marco Olmo wird in diesem Sommer kurz vor seinem 59. Geburtstag Weltmeister am Montblanc. Es fühlt sich für mich an, als ob er die Zeit stillstehen lassen kann. Wir sprechen nicht von Dressurreiten, Dart oder Segeln (alles feine Sportarten), wir sprechen vom Laufen, von 160 Kilometern und einem Kerl aus den italienischen Alpen, der mit fast 59 Weltmeister wird.

Im Jahr davor hatte er auch schon gewonnen, und zwei Siege nacheinander hat nach ihm nur Kilian Jornet geschafft. Die Zielzeiten der beiden liegen übrigens recht dicht beieinander. Kilian war allerdings über 35 Jahre jünger. Dieser Mann aus den Bergen sitzt mir nun gegenüber und hat zugesagt, am Buch mitzuwirken. Ich hatte über italienische Freunde bei ihm angefragt, und als Itta mich anrief, dass er mitmachen will, war ich für einen Moment der glücklichste schreibende Läufer der Welt.

Um es vorwegzunehmen: Es wird eins der Highlights meiner Begegnungen und Gespräche über das Laufen. Gehe ich anfangs irrtümlich davon aus, dass ich nach Italien komme, um Marco zu interviewen, nimmt er mich stattdessen an die Hand und zeigt mir seinen Weg der Klarheit zum Thema Laufen und Leben. Er ist weiterhin schüchtern – aber offener als vor zehn Jahren. Sagt er selbst. Auf viele meiner Fragen bekomme ich die Antwort: „… aber das weißt du doch selbst als erfahrener Läufer“, und manchmal nicht mal das. Ein Achselzucken oder ein Grinsen, wenn ich ihn ködern will mit der Aussage: „Du sprichst wohl nicht so gerne über dich?“ Was wir ja beide schon wissen.

Laufen kommt von laufen

Herrlich, aber ganz schwer in Worte zu fassen für ein Interview. Aber es gibt auch ganz klare Ansagen zu Trainingsmethoden, zur Ernährung, zur Kommerzialisierung der Laufszene. Während in der Öffentlichkeit jedes Jahr die Themen wechseln, bleibt er sich treu. Ihn interessiert nicht, ob Functional Training gerade in ist, ob wir mehr Ausgleichsportarten betreiben sollen, ob Fett oder Kohlehydrate der Renner sind, wir barfuß laufen oder in Plateauschuhen. Er sagt ganz klar: „Alle guten Läufer sind immer viel gelaufen. Ich bin Läufer. Ich gehe jeden Tag für 70–90 Minuten raus, und am Wochenende gibt es die lange Einheit über 5–7 Stunden.“ Das ist doch mal eine Aussage zu einem Trainingsplan. Bei dem Wort „jeden Tag“ hake ich ein.

Marco ist mittlerweile 68 Jahre alt. Er antwortet: „ Jeden Tag.“ Sein Freund Paolo, der mittlerweile bei uns am Tisch sitzt, ergänzt: „ Selbst am Tag nach dem Zieleinlauf beim Marathon des Sables geht Marco vor dem Frühstück schon seine Runde durch Zagora laufen. Das ist die Stelle, an der die meisten anderen Läufer dann durchdrehen, wenn sie ihn sehen“, und er lacht sich einen.

Als ich nach Hause fliege und in den Tagen danach beschäftigen mich ganz viele Themen aus diesem Gespräch. Vielschichtigen, umfangreichen Themen Klarheit und Einfachheit zu geben ist eine ganz große Kunst. Ich dachte ja, ich sei für ein Interview in Mailand. Stattdessen eine Lehrstunde zum Thema Leben und Laufen vom Meister Marco Olmo. Grazie!

Text: Rafael Fuchsgruber

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