Der Lauf gegen sich selbst!
Training nach Puls forciert meist ein ruhigeres Tempo, als jenes, in dem man instinktiv trainieren würde. Pulsuhren können aber auch pushen und sogar bedingt Wettkämpfe ersetzen. Die Funktionen werden aber oft nicht oder nicht richtig eingesetzt. Diesmal kümmern wir uns um die Talente der GPS-Uhren als Motivator und Antreiber beim Lauf gegen dich selbst.
Als Eliud Kipchoge seinen zweiten Versuch unternahm, einen Marathon unter zwei Stunden zu laufen, fuhr ihm ein Auto voraus, das mittels Laser auf der Straße anzeigte, wo er bei Rekordtempo zu sein habe. Er konnte sich also zentimetergenau orientieren und seine Pace optimal auf die Strecke verteilen. Rein technisch ein Riesen-Aufwand, die Fahrgeschwindigkeit und das GPS so präzise einzustellen, dass eine konstante und vor allem verlässliche Anzeige für den Läufer entsteht.
Den ein oder anderen wird es nun wundern, dass er oder sie eine ganz ähnliche Funktion bereits am Handgelenk trägt: Auch – zumindest bei Mittel- und Oberklassemodellen – smarte Fitwatches können Zeiten hochrechnen, Tempi für Zielzeiten berechnen und in den meisten Fällen sogar grafisch darstellen, wenn auch nicht mit einem Laser am Boden; das bleibt dann doch der Weltspitze vorbehalten.
Pace oder Pacer
Grob lassen sich diese „Kipchoge“-Funktionen in zwei Gruppen aufteilen: Wer tatsächlich strikt auf eine neue Bestzeit über zehn Kilometer, Halbmarathon, Marathon oder eine andere Ausdauerstrecke trainiert, kann sich vorab seine potenzielle Zeit auf diese Strecke hochrechnen lassen, ohne die volle Distanz jemals gelaufen zu sein. Der Algorithmus der Uhr nutzt dazu die Laufgeschwindigkeiten aus den Workouts und die entsprechenden Pulswerte, um auf eine tunlichst wahrscheinliche Endzeit über die Wettkampfdistanz zu kommen.
Wie ist das möglich? Wie immer über Daten, die User der Uhren-Hersteller über Jahre gesammelt haben. Wenn 100.000 Menschen ihre Trainings- und Wettkampfleistungen ins System einspeisen, ergibt sich ein für die breite Masse recht verlässlicher Grundstock an Verhältnismäßigkeiten von Vorbereitungsläufen und finaler Wettkampfdistanz. Erfahrungen haben gezeigt, dass durchschnittlich fitte Menschen die Hochrechnungen bis auf wenigen Minuten erreichen, je hochklassiger der Sportler, desto mehr weichen seine Zeiten am Tag X ab, ebenso bei sehr wenig vorbereiteten, eher experimentellen Wettkämpfern. Das liegt zum einen an der sehr unterschiedlichen „mentalen Härte“: Ein semiprofessioneller Läufer geht gerade im Rennen eine ganze Ecke tiefer in die Belastung als ein Hobbyläufer, und zum anderen werden solche Datenpakete stets im breiten Durchschnitt verarbeitet, da fallen rein statistisch Hochleistungssportler und sehr unfitte Wettkämpfer einfach als „Exoten“ etwas heraus.
Für eine möglichst genaue Evaluierung der Rennzeit ist es aber definitiv hilfreich, möglichst variable Datensätzen zu liefern. Das heißt, sowohl lange, aber lockere Läufe sowie auch kurze Intervalle und kleine Testwettkämpfe aufzuzeichnen. Je umfangreicher und breiter die Eingabe, desto genauer kann der Algorithmus Läufer und Laufleistungen zuordnen. Deren Wettkampfzeiten sind dann der Grundstock für die Hochrechnung.
Lauf gegen dich
Kleine Testwettkämpfe in der Vorbereitung sind spitze. Sie liefern nicht nur wertvolles Datenmaterial zur Standortbestimmung der aktuellen Leistung und zum „Füttern“ von erwähnten Algorithmen, sie sorgen auch für Tempohärte und bereiten den Sportler psychisch auf Momente und Situationen vor, in denen es auch mal richtig wehtut, in denen man gegen den eigenen Willen ankämpfen muss und in denen man für sich einordnet, ob und wie weit man eine Belastung aushalten möchte und kann. Jetzt findet leider nicht jedes Wochenende und an jeder Ecke ein kurzer knackiger Wettkampf statt. Gerade Läufer mit Familie können auch nicht so regelmäßig das Wochenende für solche Testrennen opfern. Und auch da kann die GPS-Pulsuhr einspringen, als virtueller Gegner oder als „Hase“ – sprich als Pacemaker.
Natürlich kann man auch einfach versuchen, ein 4:30 min/km Tempo so lange wie möglich zu halten, aber es ist ein echter Unterschied, wenn die Uhr statt der Pace einen virtuellen Gegner zeigt, der mit voreingestellter Endzeit läuft und man selbst mit ihm oder ihr mithält, sekundenweise zurückfällt und sich wieder herankämpft, oder ob man selbst eine Attacke setzt und sich Stück für Stück entfernt. Psychologisch passiert da etwas, das man nur als so etwas wie einen Jagdtrieb erklären kann. Noch spannender, motivierender und realistischer wird das, wenn man nicht gegen eine konstante Pace, sondern gegen einen realen Läufer antritt: zum Beispiel gegen sich selbst!
Die Top-Uhren erlauben es, aufgezeichnete Trainings erneut abzurufen und so auf gleicher Strecke gegen sich und seine Geschwindigkeit vom vorigen Versuch in Wettkampf zu gehen. Die Darstellung des virtuellen Gegners ist dabei ganz unterschiedlich – von simplen Linien und der Angabe von Zeitdifferenzen bis zur animierten Eins-gegen-eins-Show am Handgelenk. Der Wettkampfmodus gegen sich selbst ist besonders aufschlussreich, wenn es um die taktische Einteilung geht. Er motiviert nicht nur ganz hervorragend zur Ausbelastung, sondern gibt auch gute und persönliche Aufschlüsse, ob man anfangs gesparte Kräfte im Finale noch aufholen oder an Steigungen Zeit rausholen kann oder besser defensiv läuft und an anderer Stelle Tempo macht. Wichtig bei solchen Selbsttests: Die Grundbedingungen sollten möglichst identisch sein.
Das beinhaltet:
- Weder stark vorbelastet noch nach einer Trainingspause
- Ähnliche Wetterbedingungen, besonders keinen Extreme (Wind, Hitze oder Kälte)
- Gute Ernährungsgrundlage, sprich mit vollen Kohlenhydratspeichern und ausreichend hydriert in den Versuch gehen
- Ähnliche Tageszeit; besonders Stress im Job wird oft unterschätzt, also entweder immer nach dem Arbeitstag oder immer an freien Tagen
- Ähnliche Streckensituation: Die Route muss komplett identisch sein, aber auch der Zustand der Wege sollte nicht zu stark abweichen
- Gleiches Material: Hier können in zwei Versuchen auch zwei unterschiedliche Schuhmodelle miteinander verglichen werden, z. B. was ein Speed-Schuh an Zeit bringt und an Komfort kostet
- Gleiche Attitüde: Besonders Wettkampfneulinge schwanken in ihrer mentalen Leistungsbereitschaft, können sich mal mehr, mal weniger schinden. Hier ist das virtuelle Rennen ein ganz besonders wertvoller Erfahrungsgewinn!
Der virtuelle Hase oder Laufpartner ist nicht jedermanns Sache, manch einer fühlt sich hier unnötig unter Druck gesetzt. Die auch eher randläufig beworbenen Funktionen sind aber spitze zur Standortbestimmung, zur Kontrolle des Trainingsfortschritts, zur Motivation besonders bei hohen Belastungen und zur guten Renneinteilung. Leider kommt man auf sehr unterschiedlichen Wegen zu den „Competition“-Funktionen, je nach Modell; den Menüpfad können wir hier nicht individuell aufschlüsseln. (Text: Timo Dillenberger)