Marathon
    • Marathon Majors – Ausschlachtung

      Die World Marathon Majors ziehen viele Läufer in ihren Bann: Sechs Rennen muss man absolvieren, um die begehrte „6-Star-Finisher“-Medaille zu erhalten. Doch der Weg dorthin ist mühsam und kostspielig.

      Stolz trägt man sie um den Hals – manchmal selbst noch Tage nach dem Wettkampf: Die hart erarbeitete Finisher-Medaille. Sie ist nicht nur ein Symbol für Fleiß, Disziplin und Durchhaltevermögen, sie ist ein Ornament von Verbundenheit. Humpelnde Menschen, die rückwärts die Treppen hinabsteigen, könnten gewiss auch andere Gebrechen haben. Hängt jedoch ein Medaillon um den Hals der sich schwerfällig bewegenden Person, breitet sich gleich Empathie unter Läufern aus. Und auch „normale“ Leute entwickeln Mitgefühl: Schließlich rechtfertigt die Medaille die unbeholfenen Bewegungen.

      Die Finisher-Abzeichen gibt es in allen erdenklichen Farben, Formen und Materialien – die Holz-Medaille steht aufgrund ihrer Wertigkeit häufig in der Kritik. Was die Nachhaltigkeit betrifft, hat sie selbstverständlich die Nase vorn. Es soll sogar Sportler geben, die nicht mehr an Veranstaltungen teilnehmen, bei denen man am Ende des Rennens eine Holz-Medaille um den Hals gehängt bekommt. Und dann gibt es Läufer, die möglicherweise jahrelang einem ganz besonderen Metall hinterherjagen.

      Das härteste aller Abzeichen?

      Die World Marathon Majors – kurz WMM – sind ein Zusammenschluss von Marathon-Veranstaltern, die am 23. Januar 2006 von den Direktoren Guy Morse (Boston), David Bedford (London), Marke Milde (Berlin), Carey Pinkowski (Chicago) und Mary Wittenberg (New York City) initiiert wurde. Seit dem 02. November ist auch der Tokio-Marathon Teil der WMM. Diejenigen, die alle World Marathon Majors absolvieren, erhalten die sogenannte „6-Star-Finisher“-Medaille – ein Abzeichen, dass in der Szene für besondere Bewunderung sorgt. Denn die begehrten Startnummern für die jeweiligen Rennen erhält man ausschließlich durch Leistung (Qualifikationszeit), Glück (Lotterie-Verfahren), Wohltätigkeit (Spenden sammeln) oder durch Cash (Geld). Und letzteres gibt sowohl der „6-Star-Finisher“-Medaille als auch der gesamten WMM-Serie einen negativen Beigeschmack.

      Die durchschnittliche Zeit, sich alle „Sterne“ zu erlaufen, beträgt rund siebeneinhalb Jahre. Wer eine schnelle Marathon-Zeit vorweisen kann, könnte die ersten „Majors“ theoretisch in zwei Jahren absolvieren. Ich sage bewusst „theoretisch“, denn drei dieser vier Laufveranstaltungen finden im Herbst statt. Wer also in Berlin, Chicago und New York laufen möchte, muss das in der Zeit von Ende September bis Anfang November tun. Sportlich, aber machbar – die persönlichen Ambitionen für eine neue Bestzeit sollte man dann nach dem Marathon in Berlin allerdings hinten anstellen. Mit 42,195 Kilometer in den Beinen läuft es sich bekanntlich nicht ganz so entspannt.

      Ohne Losglück kein Marathon

      Für die Mega-Events in Tokio und London hilft eine schnelle persönliche Bestzeit leider nicht mehr. Das „Run as One“-Programm in der japanischen Hauptstadt ist ausschließlich Semi-Elite-Athleten vorbehalten, die eine Marathon-Zeit von unter 02:32:00 (Männer) oder 03:19:00 (Frauen) vorweisen können; die „Good for Age“ Zeiten in London sind da etwas entspannter, bewerben können sich aber auch nur Menschen mit festem Wohnsitz in Großbritannien. Das Ergattern der Startnummer hängt also vom Losglück oder vom notwendigen Kleingeld ab. Wer über die finanziellen Mittel verfügt, bucht seinen Start beim jeweiligen Marathon einfach über einen der vielen Reiseveranstalter. Die Kosten für einen Trip nach New York starten bei rund 3.000 Euro und haben nach oben hin fast keine Obergrenze – abhängig davon, welche Art von Zimmer und welche Extras (Stadtrundfahrt, Verlängerungstage, zusätzliche Services, Anschlussreise, etc.) man sonst noch bucht. Die Kosten lassen sich auf die verbleibenden vier Majors – Berlin mal rausgerechnet – übertragen.

      Geld ist geil

      Auf den ersten Blick mag die „6-Star-Finisher“-Medaille ein Zeichen von Fleiß und Hingabe sein, doch Menschen kann man eben nur vor den Kopf gucken. Oft weicht der Bewunderung für das Absolvieren aller sechs World Major Marathons der pure Neid. Vor allem, wenn man augenscheinlich nicht zu den schnellen, sondern zu den wohlhabenden Läufern gehört. Natürlich müssen auch diese Sportler für die 42,195 Kilometer trainieren und den Marathon vor Ort auch erfolgreichen finishen. Für jemanden, der jedoch hart trainiert hat, um bestimmte Qualifikationszeiten zu erreichen, ist dieser Typ von Ausdauerathlet ein Schlag ins Gesicht. Es ist wie beim Fliegen mit „Priority“-Status: Wer zahlt, hat Vorrang. Den Veranstaltern von Laufreisen kann man hier keinen Vorwurf machen – sie befriedigen lediglich die Bedürfnisse und Wünsche der Läufer-Community. Die „Problematik“ müssen sich die Organisatoren der WMM ankreiden lassen: Sie schlachten ihre Events kommerziell aus und verknappen gleichzeitig auch die Startplätze, die sonst durch die Lotterie verteilt würden.

      Perfekter Marketing-Coup

      Laufveranstaltungen müssen gewinnbringend sein, sonst droht das Aus. Das haben kleine Wald- und Wiesen-Events während der Pandemie-Zeit leider am eigenen Leib erlebt. Das Ausmaß der Major Marathons übertrifft dabei alle Veranstaltungen, an denen ich bereits teilgenommen habe. Wer schonmal beim Marathon in Berlin gestartet ist, weiß um die Abläufe zum Abholen der eigenen Startnummer: Nur Leute mit „Bändchen“ kommen überhaupt in die Messehalle, um ihre Bib abzuholen.

      In Boston stand bereits 30 Minuten vor Öffnung der Halle eine Menschenschar vor den Messe-Toren, nur um dann in einer ewig-langen Polonaise über mehrere Stockwerke des „Convention and Exhibition Center“ zum jeweiligen Schalter für die eigene Startnummer geleitet zu werden. Damit beginnt allerdings erst der ganze Wahnsinn. Auf die Teilnehmer wartet in der Messehalle ein „Pop-Up-Store“ des jeweiligen Hauptsponsors, wo sich begeisterte Läufer mit Andenken an das Major-Event zudecken können. Thermobecher, Schlüsselanhänger, Shirts, Pullis, Hosen und Kappen, Stofftiere – alles wird „gebranded“ und an die Massen verkauft. Ich gebs zu, auch ich habe mir zwei Pullis aus Boston gekauft, weil es ein ikonischer Lauf ist. Doch was die Leute an den Kassen neben mir bezahlt haben, waren häufig niedrige vierstellige Beträge. Der Hype um die World Marathon Majors ist nicht von der Hand zu weisen. Und die Sponsoren und Organisatoren wissen dieses Phänomen in bare Münze zu wandeln.

      Keine Frage, für viele Läufer haben die WMM einen besonderen Reiz. Und die kostspielige Reise nehmen sie für die begehrte „6-Star-Finisher“-Medaille dafür in Kauf. Die einen möchten sie so schnell wie möglich um den Hals hängen haben, die anderen lassen sich Zeit für ihre Reise. Doch egal ob Metall oder Holz, Qualifikationszeit, Losglück, Charity oder Reiseveranstalter – in Köln sagen wir: Jede Jeck is anders. (Text: Robin Siegert)

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