Russ Cook
    • Russ Cook – Lauf des Lebens

      Russ Cook ist als Mann der Extreme bekannt. Mit seinem Lauf vom Süden in den Norden Afrikas setzt er einen Meilenstein, den zuvor noch kein Mensch erreicht hat.

      Der tunesische Küstensand brennt glühend heiß unter jeder Faser der geschundenen Füße. Es sind die letzten Meter einer körperlichen Grenzerfahrung nach 16.000 gelaufenen Kilometern quer durch Afrika. Hunderte Menschen jubeln begeistert, laufen auf den letzten Metern nebenher und „tragen“ ihren Helden über die so lang herbeigesehnte Ziellinie. All die Anstrengungen und Schmerzen sind für einen Moment des Triumphs vergessen.

      Russ Cook ist Extremsportler der ganz besonderen Art. Wo andere aufgeben, fängt der Brite gerade erst an. Im April erreicht er nach 352 Tagen und 16 durchlaufenen Ländern das Ras Angela, den nördlichsten Punkt Tunesiens. Als erster Mensch der Welt durchquert Cook den Kontinent vom Süden in den Norden und erlangt weltweite Berühmtheit.

      Halbherzige Planung

      Das nie dagewesene Mammut-Projekt startet im April 2023 am Kap Agulhas in Südafrika, die Planungen gehen jedoch noch deutlich weiter zurück. Cook ist mit 26 Jahren körperlich topfit und bereit, über sein Limit hinauszuwachsen. Zweifel daran, dass er den Lauf aufgrund von Defiziten abbrechen muss, gibt es nicht. „Zusätzlich habe ich mich noch auf Yoga fokussiert“, erklärt der Ultraläufer im Gespräch mit aktivLaufen. So arbeitet er an seiner mentalen Stärke, denn dies ist es, was ihm Sorge bereitet.

      Was in Afrika auf ihn und sein Team zukommt, ist nämlich nur zu Teilen planbar. Diese Erfahrung macht Cook bei der Vorbereitung auf seinen Lauf auf einem fremden Kontinent. „Unsere Priorität lag nicht auf dem Faktor Sicherheit. Wir haben uns um die Basics gekümmert und mögliche Szenarien besprochen. Vieles war aber schlichtweg nicht planbar“. Er weiß, dass lebensbedrohliche Situationen auf ihn warten könnten, doch auch das hält den Mann mit dem markanten, orangenen Bart, nicht auf. Er will die Reise ins Ungewisse wagen und tun, was zuvor noch nie ein Mensch getan hat.

      Prägender Einfluss

      Diesen Kampfgeist und Willen entwickelt Cook auch durch den Einfluss seiner Eltern. Das Verhältnis ist keinesfalls immer einfach, doch die Attitüden seines Vaters hinterlassen Eindruck. Ein harter Arbeiter der Mittelklasse, der nicht selten 50 Stunden in der Woche für seine Familie schuftet. „Wenn er abends nach Hause kam, was seine Kleidung oft voller Staub“ schildert Cook Erinnerungen seiner Kindheit im Podcast „Diary of a CEO“.

      Der heute 27-Jährige erlebt eine gute Kindheit, wächst als kleiner Junge wohl behütet auf und erlernt vor allem die wichtigen Tugenden des Lebens. „Ich bin ihnen sehr dankbar dafür, dass sie mir gutes Benehmen beigebracht haben. Das hat meinen Charakter geformt.“ In dieser Zeit entwickelt sich auch seine schier unbändige Willenskraft, die ihm als Teenager jedoch noch abhanden kommen wird.

      Nicht zu viel nachdenken

      Nach monatelanger Planung brechen Cook und sein kleines Team auf nach Afrika. Vor Ort mieten sie sich einen Van, mit dem die Gefolgschaft des Läufers zu dessen jeweiligen Zielpunkten fährt. Sie sorgen dafür, dass Cook mit Getränken und Essen versorgt wird, zudem bietet das geräumige Automobil einen halbwegs sicheren Schlafplatz für die Nacht. Auf einen eigenen Arzt verzichtet der Ausdauersportler. Eine Entscheidung, die er später noch bereuen wird.

      Zunächst jedoch ein Auftakt nach Maß. Die ersten Tagen bereiten keine Probleme, obwohl das Terrain so manche Gefahren birgt. Cook schlägt sich durch den Regenwald, muss hunderte Kilometer seiner Strecke alleine zurücklegen, weil es keine befestigten Wege gibt, auf denen sein Team fahren kann. Gefeiert von hunderten Laufbegeisterten erreicht er nach wenigen Tagen Windhoek, die Hauptstadt Namibias. Ein Moment, der in besonderer Erinnerung bleibt. Sein „Project Africa“ hat zu diesem Zeitpunkt in der Läuferszene längst weltweite Bekanntheit erreicht.

      Wann immer Cook nicht läuft oder isst, produziert er mit seinen Freunden Content für Social Media und YouTube. Die Aufmerksamkeit soll hochgehalten werden, denn mit dem Projekt soll möglichst viel Geld für wohltätige Zwecke gesammelt werden. „Das ist neben der körperlichen Herausforderung der wichtigste Grund, um diesen Lauf überhaupt zu machen“, erklärt Cook. Umgerechnet fast 700.000 Euro kommen allein während der Reise zusammen. Bis heute sind es etwas über eine Million. Die Hälfte des Geldes geht an Flüchtlings-Camps in Afrika, mit der anderen Hälfte werden Projekte unterstützt, die Kinder für Sport begeistern sollen.

      Der falsche Weg

      Dass ihm nach dem euphorischen Empfang in Windhoek und dem nahezu perfekten Auftakt noch andere Zeiten bevorstehen, ist Cook bewusst – und nichts, was ihn aufhält. Denn auch als Jugendlicher durchlebt er Zeiten, die alles andere als einfach sind, ihn im Nachhinein jedoch nur stärker machen. In der Pubertät verschlechtert sich das Verhältnis zu den eigenen Eltern. Cook geht auf Distanz und meidet Kontakt. Es kommt zum Bruch.

      Mit nur 17 Jahren zieht er von zuhause aus und will seinen eigenen Weg gehen. Mit seinem Vater ist er so entzweit, dass dieser eines Tages sogar das Türschloss des Elternhauses austauscht. „Ich habe mir die günstigste Wohnung gesucht, die Schule beendet und mich irgendwie mit Nebenjobs über Wasser gehalten“, beschreibt Cook und nennt sich zurückblickend einen „Rebell“. Nach der Schule fehlt ihm jedoch die Perspektive. Der eigentlich so ehrgeizige Teenager gerät in einen Negativstrudel. „Ich habe angefangen zu trinken und zu zocken. Irgendwann hatte ich meine Finanzen nicht mehr Griff.“

      Die ersten Probleme

      An solche Situationen denkt Cook zurück, wenn er heute in einer misslichen Lage steckt. Auf seiner Afrika-Reise passiert ihm das zum ersten Mal nach vier Wochen. Nur wenige Tage nach dem Hoch in Windhoek kommt noch in Namibia der Fall. Cook erleidet eine Lebensmittelvergiftung und muss einen Arzt aufsuchen. Er erholt sich schnell von dem Vorfall, spürt jedoch bereits, dass er sein Ziel von anvisierten 240 Lauftagen wohl deutlich verfehlen wird.

      An seiner Fitness oder sonstigen körperlichen Erscheinungen liegt das zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht. An Ausnahmetagen legt Cook auf seiner Tour durch Afrika die Distanz von sage und schreibe drei Marathons zurück. Am Ende seiner 16.300 Kilometer langen Reise wird er auf einen Tagesdurchschnitt von 46 Kilometern kommen. 

      Darin eingerechnet auch die Tage, an denen der im südenglischen Worthington Geborene keinen einzigen Kilometer läuft. Den ersten solcher Ruhetage bekommt Cook nach eineinhalb Monaten verordnet. Zuvor hat er vier Tage lang Blut im Urin und muss unfreiwillig pausieren. Er rappelt sich auf. Unwissend, dass ihm in den nächsten Monaten noch viel Schlimmeres bevorstehen wird.

      Ein neuer Mensch

      Ob es jemals zu der einzigartigen Lauf-Karriere und der Afrika-Mission gekommen wäre, wenn sich eine bestimmte Nacht in Cooks Leben anders abgespielt hätte? Über einen Zeitraum von knapp drei Jahren kommt der Engländer aus seiner Spielsucht und Trinklaune nicht heraus. Er ist 20 Jahre alt, als er nach einer durchzechten Partynacht kein Geld für ein Taxi hat und auch kein Bus mehr fährt. 20 Kilometer muss Cook nach Hause laufen. Zunächst genervt ob der langen Strecke, doch dann wird er befreiter und entwickelt sogar Freude daran. Es ist der Beginn einer großen Passion und das Ende eines planlosen Lebensabschnitts.

      Cook fasst neuen Mut. Laufen gehört fortan fest zu seinem Alltag und er kommt immer besser in Form. Den nächsten Schritt macht er als Lauflehrer der Wohltätigkeitsorganisation „The Running Charity“. Hier findet der Mann, der noch heute auch die Einsamkeit liebt, Anschluss an die Lauf-Community. Cook läuft täglich und wird in seinem Training immer intensiver.

      Raubüberfall

      An Tag 50 wird Cook in Angola erstmals mit einer Situation konfrontiert, die so im Vorfeld nicht planbar ist. Er ist alleine unterwegs, als sich zwei Männer nähern, die ihn bedrohen und Wertsachen von ihm fordern. Mit einem beherzten Schlag in die Magengrube kann sich der Brite verteidigen und einen der Angreifer abschütteln. „Als der andere gemerkt hat, dass ich lediglich etwas zu essen bei mir trage, hat er von mir abgelassen und sich sogar entschuldigt. Ich habe das Essen mit ihm geteilt, weil er mir leid tat“, erinnert sich Cook an diese außergewöhnliche Begegnung.

      Weniger glimpflich geht es exakt zwei Wochen später im selben Land zu. Das Team sitzt im Van, macht Essenspause. „In dem Moment wird die Tür aufgebrochen und wir bekommen Pistolen ins Gesicht gehalten.“ Die Crew zittert um ihr Leben während sich die Räuber vor allem an technischen Gegenständen wie Kameras, Drohne und Smartphones bedienen. Auch Reisepässe nehmen sie mit. Für Cook, der auf seiner Reise 14 Landesgrenzen durchquert und sich zwingend ausweisen muss, ein absoluter Horror. Aufhalten lässt er sich nicht. Es dauert drei Wochen, ehe das Team neue Unterlagen hat.

      Meilensteine

      Für Cook ist es ein Segen, ein solches Team im Hintergrund zu haben. Obwohl es bei weitem nicht das erste Großprojekt für ihn ist, verzichtet er in der Vergangenheit weitestgehend darauf. 2019 läuft Cook im Alter von 22 Jahren als erster Mensch von Asien nach Europa. Er startet in Istanbul und läuft bis nach London zurück. Damals legt Cook noch wenig Wert auf Videomaterial und Öffentlichkeit. Seine Errungenschaft findet medial kaum Präsenz. 

      An seine körperlichen Grenzen und darüber hinaus geht Cook auch, als er sich nur mit Wasser als einzigem Nahrungsmittel für sieben Tage lebendig begraben lässt. Wenig später läuft er 71 Marathons in 66 Tagen und elf Ländern. Seine Afrika-Mission hat er zu diesem Zeitpunkt bereits vor Augen: „Alles hat in London begonnen. Nachdem ich den Lauf abgeschlossen habe, schaute ich mir die Weltkarte an und Afrika sah wie ein spektakulärer Ort aus“, sagt Cook zu aktivLaufen über die Entstehung der Afrika-Idee.

      Kidnapping

      Den schlimmsten Moment seines Laufs und gleichermaßen auch Lebens erlebt Cook ganz auf sich allein gestellt im kongolesischen Dschungel. Während er sich durch den Wald kämpft, entführen ihn Männer eines einheimischen Stammes. Sie bringen ihn ins Dorf zum Oberhaupt, doch niemand versteht seine Sprache. „Sie haben auch meine Mission nicht verstanden. Ich hatte kein Geld“. Nass geschwitzt und am Ende seiner Kräfte wird Cook von zwei Männern mit Macheten in einen Busch gezogen. Er fürchtet um sein Leben. Es ist der einzige Moment in 352 Tagen Afrika, in dem er ernsthaft ans Aufgeben denkt – sofern er überlebt. 

      „Ich wusste, dass es nicht mehr als 15 bis maximal 20 Kilometer zu meinem Team sein können“, erinnert sich der Extremsportler und wagt die Flucht. Er mobilisiert all seine Reserven und entkommt. Empfangen wird er jedoch nicht von seiner Crew, sondern zwei weiteren Entführern, die ihn unter einem Vorwand mit einem Motorrad in ein anderes Dorf bringen. Nachdem Cook zunächst auch dort bedroht wird, darf er ein Telefon benutzen und ruft seine Freunde an. Auf französisch kommunizieren sie mit dem Dorf-Obersten. Gegen ein Handgeld dürfen sie Cook abholen. Freiheit.

      14 Monate ohne Familie

      Nachdem 2019 die Idee entsteht, ist die Afrika-Tour vier Jahre später fest geplant. Sechs Monate vor seinem Aufbruch in die Ferne lernt Cook seine Freundin Amelie Bell kennen. „Ich kannte sie über Freunde und habe immer schon gesagt, dass ich sie gerne kennenlernen würde“. Mitte 2022 ist es dann soweit. Die Beiden treffen sich, es entwickelt sich eine Beziehung.

      Auch mit seinen Eltern wächst Cook vor dem größten Trip seines Lebens wieder zusammen. „Amelie hat die Brücken gebaut“, sagt er und trifft seine Eltern kurz vor Abreise erstmals seit eineinhalb Jahren wieder. „Mein Vater war sehr stolz. Zum ersten Mal habe ich das so gespürt.“ Ein Moment, der Cook alles bedeutet und in dem sich für ihn ein persönlicher Kreis schließt. 

      Das Ziel vor Augen

      Nach zwei Überfällen und dem Kidnapping erlebt Cook vor allen Dingen positive Situationen, die ewig im Gedächtnis bleiben. Nie vergessen wird er das Kopfschütteln und spätere gemeinsame Gelächter mit Grenz-Kontrolleuren der Elfenbeinküste. Denn als Cook nachts in Läuferkleidung in das Land will, halten sie ihn zunächst für einen Spion.

      Was der Extremsportler mit seinem Lauf weltweit bewegt, wird ihm in Algerien bewusst. Weil man ihm dort die Einreise untersagt, macht der 27-Jährige die Situation über Social Media publik. Er bekommt Aufmerksamkeit und nach einigen Stunden eine Antwort der algerischen Botschaft, die ihn nun gerne einlädt. Sogar Elon Musk, Besitzer des Netzwerks, meldet sich und beglückwünscht Cook für seinen Erfolg. 

      Über 300 Lauftage später, Cook wäre eigentlich längst gerne im Ziel, schleppt er sich täglich von Ort zu Ort. Die Rückenschmerzen sind unerträglich und ein Arzt empfiehlt ihm die Aufgabe. Es bedarf eigentlich keiner Erwähnung, dass dies keine Option darstellt. Der Engländer reduziert seine tägliche Laufleistung und hält weitere 50 Tage durch. „Ich habe manchmal nicht mehr daran geglaubt, diese Situation noch zu erleben“, beschreibt er den Moment, als er das erste Mal auf das Kap Angela blickt.

      Ein glückliches Ende

      Als es nur noch wenige Kilometer sind, tauchen immer mehr Menschen neben ihm auf. Gemeinsam laufen sie durch den tiefen Sand und liefern der Welt irre Bilder. Reporter im Vollsprint interviewen Cook kurz vor der Ziellinie, es sind unwirkliche Szenen. Szenen eines Finals, das der Ausdauerläufer in 352 Tagen nie aus den Augen verliert.

      Russ Cock

      Der Körper ist kaputt, alle Muskeln geschunden und die Knochen überlastet. Nach der Mission seines Lebens will Cook nur noch Ruhe „und Eiscreme“. Nach ausgelassenen Tagen mit seiner Freundin und Familie zieht er sich zurück, um die Erlebnisse alleine für sich zu verarbeiten. Doch Russ Cook wäre nicht Russ Cook, wenn er dabei nicht schon neue, außergewöhnliche Pläne für künftige Extremleistungen schmieden würde. (Text von Jonas Giesenhagen)

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