Schluss mit der Selbstoptimierung

Der Zwang zur Selbstoptimierung führt nicht nur in den Wahnsinn, sondern lässt auch übertriebene Erwartungen entstehen. Dieser Leistungsdruck hemmt unseren produktiven Müßiggang.

Von der Laufstilanalyse bis zur Leistungsdiagnostik, der Resilienz bis Biohacking, der Schweißanalysen, dem Schlaftracker, Running-Pods bis zu Glukose-Biosensoren, die molekulare Glukosedaten kontinuierlich in Echtzeit anzeigen. Heutzutage sind nicht nur Diagnoseverfahren der Masse zugänglich, die sonst ausschließlich professionellen Athleten vorbehalten waren. Nein, die meisten Analysen können auch bequem von zu Hause aus und scheinbar ohne großartige Expertise durchgeführt werden. Zu allem Überfluss werden immer mehr Gadgets und Wearables für Läufer entwickelt, die den Zwang zur Selbstoptimierung weiter befeuern.

Wertewandel

Diese Entwicklung ist ein Paradebeispiel für das Marktgleichgewicht innerhalb der Running-Branche: Die Nachfrage bestimmt das Angebot. Der Fitness- und Lifestyle-Markt der Activity Tracker und anderer Geräte explodiert jedoch nicht erst seit dem neu entfachten Laufboom. Das Angebot an Ernährungstipps, individuellen Trainingsplänen und Fitnessarmbändern ist bedingt durch einen Wertewandel, der eine hohe Nachfrage derartiger Produkte zur Folge hat.

Zwang zur Selbstoptimierung

Die Masse an mobilen Applikationen, individualisierten Trainingsplänen und kostenlosen – mit Vorsicht zu genießenden – Gesundheitstipps im Netz ist unüberschaubar. Mit den richtigen Suchbegriffen findet man im Internet schnell die Lösung für sämtliche Probleme. Teilweise wissenschaftlich fundiert, in einigen Fällen von der Schwarmintelligenz getestet und validiert. Dieser Zugang zu Informationen ist Fluch und Segen zugleich. Natürlich erleichtert er uns den Alltag: Spezielle Kraftübungen für Läufer, die digitale Diagnose einer potenziellen Laufverletzung oder ein schnelles Low-Carb-Rezept für den Abend – die Arbeitserleichterung und die Zeitersparnis sind möglicherweise die größten Vorteile des World Wide Web.

Das Maximum erreichen

„Möglicherweise“ – denn wer nach Symptomen und der Behandlung einer Verletzung sucht und diese Therapien dann ohne Untersuchung eines Experten einfach beginnt, kann sich im Zweifel auch Schaden zufügen. Das Googeln von Beschwerden sollte noch immer nicht den Gang zum Arzt ersetzen. Egal, von welchem Standort, zu welchem Zeitpunkt und über welches Endgerät: Der schnelle Zugang zu Informationen führt aber auch dazu, dass wir Sachen ad hoc recherchieren. Wenn Eliud Kipchoge also mal wieder einen Fabelrekord läuft, haben wir innerhalb kürzester Zeit herausgefunden, wie seine Vorbereitung ausgesehen, welche Ernährungsstrategie er verfolgt und welche Laufschuhe der Kenianer an seinen Füßen getragen hat. Alles schön und gut. Das Problem liegt dabei jedoch am bereits erwähnten Wertewandel. Denn aus bloßem Interesse wollen wir solche Dinge nur in den seltensten Fällen wissen. Was uns vielmehr interessiert: Welche Möglichkeiten stehen mir zur Verfügung, damit auch ich das Maximum meiner Leistungsfähigkeit erreichen kann?

Weniger ist manchmal mehr

Ein Pacer-Team lässt sich sicherlich zusammenstellen. Auch die Laufschuhe könnten Sie sich mit dem richtigen Kleingeld zulegen. Allerdings würden Sie das Pferd hierbei von hinten aufzäumen. Schließlich fängt die Vorbereitung auf einen Wettkampf bereits Monate im Voraus an. Also lassen Sie Ihr derzeitiges Leistungsniveau bei einer professionellen Spiroergometrie analysieren. Im nächsten Schritt folgt der individuelle Trainingsplan in Kombination mit persönlichen Kraft-, Stabi- und Mobility-Übungen. Smarte Fitnesstracker überwachen die Qualität Ihres Schlafs, und mithilfe von intelligenten Running-Pods verbessern Sie Laufstil und -technik. Ein spezieller Ernährungsplan unterstützt Sie beim Erreichen Ihres Idealgewichts. Zu guter Letzt gönnen Sie sich wöchentlich einen Physiotherapeuten auf eigene Kosten: So machen es die Profis schließlich auch.

Die eigenen Ziele reflektieren

Das Problem dabei ist, dass man sich somit in einer Art Zwang zur Selbstoptimierung befindet. Dabei ist es keineswegs verwerflich, sich ständig verbessern zu wollen. Wenn dieser Zwang zur Selbstoptimierung jedoch zu Wahnsinn und übertriebenen Erwartungen führt, sollte zügig die eigene Zielsetzung reflektiert werden. Keine Frage, sich einmal wie ein Eliud Kipchoge zu fühlen kann eine Zeit lang Spaß machen. Wer seine sportlichen Ambitionen jedoch immer über Beruf, Familie oder soziale Kontakte stellt und sich sein Leben von körperbezogenen Daten und Fitnessarmbändern diktieren lässt, sollte ernsthaft einen digitalen Detox in Betracht ziehen. Denn selbst wenn das Angebot an Apps und Gadgets vorhanden ist: Die eigene Lebenszeit ist noch immer nicht käuflich.

TEXT Robin Siegert

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