Schröpfen: Kleine Gläser, große Wirkung
Eine uralte Therapieform gewinnt heute wieder an Bedeutung: Spitzensportler schwören auf Sauggläser, um schneller wieder fit zu sein. Hier erfährst du mehr über die Vorteile und die Wirkung vom Schröpfen.
Liest man sich einmal die Definition von „Schröpfen“ in der Fachliteratur durch, wird einem förmlich angst und bange. Denn das traditionelle Therapieverfahren bezeichnet ein lokales Blutsaugen, bei dem auf einem begrenzten Hautareal ein Unterdruck aufgebracht wird.
Doch das Schröpfen, eine therapeutische Technik mit uralten Wurzeln, hat in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Wiederbelebung erlebt. Diese Methode, die in vielen traditionellen Medizinsystemen rund um den Globus verwendet wurde, beinhaltet das Aufbringen von Sauggläsern auf die Haut, um die Blutzirkulation zu verbessern und Heilungsprozesse zu fördern. In diesem Artikel werden wir die Ursprünge, die verschiedenen Techniken, die wissenschaftlichen Grundlagen sowie die moderne Anwendung des Schröpfens ausführlich beleuchten.
Schröpfen – ein uraltes Verfahren
Das Schröpfen hat eine lange und reiche Geschichte, die bis in die Antike zurückreicht. Die frühesten Aufzeichnungen stammen aus dem alten Ägypten. Auch in der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) und der griechischen Medizin war Schröpfen weit verbreitet. Hier wird Schröpfen, oder auch „Cupping“ seit mehr als 2000 Jahren praktiziert. Die Technik basiert auf der Vorstellung von Qi, der Lebensenergie, die durch den Körper fließt. Blockaden im Qi-Fluss können laut der traditionellen chinesischen Medizin zu Krankheiten führen. Cupping wird hier also verwendet, um Blockaden zu lösen und die Balance wiederherzustellen.
Einen anderen Ansatz hatte Hippokrates, der „Vater der Medizin“. Er nutzte das Schröpfen, um die Gesundheit seiner Patienten zu verbessern. Er glaubte, dass Giftstoffe mit Hilfe des Cuppings aus dem Körper entfernt und die Heilung entsprechend gefördert werden könnte. Das Schröpfen verbreitete sich daraufhin im gesamten Mittelmeerraum und wurde sogar später von den Römern übernommen.
Die Macht des Unterdrucks
Es existieren mehrere Arten des Schröpfens, die sich in Technik und Zielsetzung unterscheiden. Um eine martialisch anmutende alte Therapie-Variante handelt es sich beim „blutigen“ Schröpfen: Hier werden die Saugglocken auf die zuvor eingeritzte Haut gesetzt. Der Unterdruck zieht Blut aus den kleinen Schnittwunden. Speziell bei akuten Schmerzen lassen sich mit diesem stark ausleitenden Verfahren gute Ergebnisse erzielen. Selbstverständlich kann man aber auch „trocken“ schröpfen. Dieses Verfahren kommt eher bei chronischen Beschwerden oder zur Vorbeugung zum Einsatz. Beim trockenen Schröpfen werden die Sauggläser auf die Haut gesetzt, um ein Vakuum zu erzeugen. Dies wird durch Pumpen oder Erwärmen der Luft im Glas erreicht. Das Vakuum zieht die Haut und das darunterliegende Gewebe im Glas leicht nach oben. Dabei soll die Durchblutung verbessert und Muskelschmerzen gelindert werden.
Zu guter Letzt existiert noch das „Feuerschröpfen“: Hierbei wird ein brennender Ball aus Baumwolle in das Glas gehalten, um die Luft zu erhitzen und ein Vakuum zu erzeugen. Sobald der Sauerstoff im Glas verbrannt ist, wird die Saugglocke schnell auf die Haut gesetzt. Diese Methode findet ihren Einsatz häufig in der TCM – sie erfordert Geschick und Erfahrung, um schwere Verbrennungen zu vermeiden.
Beim Lesen dieser Zeilen könnte man vermuten, das Schröpfen sei eine barbarische Methode, um Muskeln zu lockern, Giftstoffe zu entfernen oder Blockaden im Qi zu lösen. Man muss aber keineswegs masochistisch veranlagt sein, um ein Verfechter des Cuppings zu werden. Und sind wir mal ganz ehrlich: Sportmassagen, Faszienrollen und Massagepistolen sind auf der Schmerzskala allesamt im selben Bereich angesiedelt. Man muss ja auch nicht gleich mit dem blutigen Schröpfen starten.
Hilfe gegen Schmerzen und Verspannungen
Obwohl das Cupping eine lange Geschichte hat, wurden seine wissenschaftlichen Grundlagen erst in jüngerer Zeit intensiv untersucht. Die Forschung hat begonnen, einige der Wirkmechanismen zu entschlüsseln, durch die Schröpfen positive gesundheitliche Effekte hervorrufen kann. Ein Hauptmechanismus des Schröpfens ist die Verbesserung der Blutzirkulation. Das Vakuum, das durch die Sauggläser erzeugt wird, führt dazu, dass Blut in die behandelten Bereiche gezogen wird. Dies kann helfen, die Versorgung der Zellen mit Sauerstoff und Nährstoffen zu verbessern und den Abtransport von Abfallstoffen zu beschleunigen.
Zudem haben Studien gezeigt, dass Cupping entzündungshemmende Effekte haben kann. Durch die Erhöhung der Durchblutung und die Stimulierung des Immunsystems können entzündliche Prozesse im Körper reduziert werden. Dies ist besonders nützlich bei chronischen Erkrankungen wie Arthritis und Muskelentzündungen.
Abschließend wird Schröpfen eine schmerzlindernde Wirkung nachgesagt. Es wird angenommen, dass das Vakuum die Freisetzung von Endorphinen ,den körpereignene Schmerzmitteln, stimuliert. Cupping kanndie Spannung in den Muskeln reduzieren und Triggerpunkte lösen, die Schmerzen verursachen.
Schröpfen: Imagepolitur statt Hokuspokus
Womöglich bist du am Race-Day schonmal jemand begegnet, dessen Rücken mit kreisrunden, feuerroten Stellen übersäht war. Das sind eindeutige Zeichen, dass die Person sich hat schröpfen lassen. Denn ganz ohne sichtbare „Blessuren“ kommt man bei der therapeutischen Behandlung nicht davon. Gleichzeitig ist es aber auch ein eindeutiges Zeichen, dass Cupping in der modernen Medizin und Wellness-Kultur einen festen Platz gefunden hat. Von Physiotherapie bis hin zur Sportmedizin – Schröpfen wird in einer Vielzahl von Kontexten verwendet.
So verwenden Physiotherapeuten das Schröpfen, um Schmerzen zu lindern und die Beweglichkeit zu verbessern. Es kann bei vielen Beschwerden eingesetzt werden, darunter Rückenschmerzen, Nackenschmerzen und Muskelverspannungen.
In der Welt des Sports ist Michael Phelps sicherlich der bekannteste Verfechter vom Cupping. Dank der eben erwähnten sichtbaren, kreisrunden Merkmale auf seinem Oberkörper hat das Schwimm-Ass dazu beigetragen, Schröpfen ein modernes Image zu verleihen. Für den Spitzensportler war das Cupping ein regelmäßiger Teil der Regenerationsroutine: Die Saugglocken werden verwendet, um Muskelverspannungen zu lösen, die Erholung nach dem Training zu beschleunigen und die Leistungsfähigkeit zu steigern.
Nun würden wir sicherlich nicht über eine Behandlungsmethode berichten, für die ein regelmäßiger Besuch beim Sportarzt oder beim Physio notwendig ist. Die eingangs erwähnten Faszienrollen und Massagepistolen wurden unter anderem ja auch für den Verbrauchermarkt entwickelt, damit sich handelsübliche Personen nicht mehr von Profis durchkneten lassen müssen, sondern sich selbst durchkneten können.
Aus einer Notwendigkeit wird eine Bewegung
Nach einem traumatischen Motorradunfall suchte Dr. Jason Wersland nach einer Lösung für seine lähmenden Schmerzen. Als nichts auf dem Markt hilft, entwirft er ein provisorisches Werkzeug, das später als erste „Theragun“ bekannt werden sollte. Heute ist „Therabody“ der globale Pionier in der Wellness-Technologie – und natürlich hat das US-Unternehmen neben Massagepistolen und Kompressionsstiefel auch ein Gerät im Portfolio, mit dem man sich selbst schröpfen kann. Die sogenannte „TheraCup“ bringt das traditionelle Cupping mit Wärme und Vibration zusammen, um Schmerzen zu lindern und die Erholung zu fördern. Natürlich kann man sich auch mit konventionelle Schröpfgläsern behandeln, allerdings steckt der Vorteil elektronischer Geräte in der Digitalität. Denn dank der Steuerung per App weiß der Nutzer genau, wie die Anwendung vorzunehmen ist.
Schröpfen: Wunderwaffe oder Placebo?
Wie bei fast allen Behandlungsmethoden, muss die Wirksamkeit grundsätzlich hinterfragt werden. Selbst die positiven Effekte des Dehnens sind wissenschaftlich noch nicht nachgewiesen worden. Während die Forschung zum Schröpfen noch relativ jung ist, gibt es aber bereits zahlreiche Fallstudien und klinische Belege, die seine Wirksamkeit unterstützen. Eine Studie aus dem Jahr 2012, die im „Journal of Traditional and Complementary Medicine“ veröffentlicht wurde, zeigte, dass Cupping signifikant zur Schmerzlinderung bei Patienten mit chronischen Nackenschmerzen beitragen kann. Eine andere Studie aus dem Jahr 2015, veröffentlicht im „Journal of Alternative and Complementary Medicine“, fand heraus, dass Schröpfen effektiv zur Linderung von Kniearthroseschmerzen beiträgt.
Zudem berichten zahlreiche Fallstudien von den positiven Effekten des Schröpfens. Ein Beispiel ist der Fall eines 45-jährigen Mannes mit chronischen Rückenschmerzen, der nach mehreren Cupping-Sitzungen eine deutliche Besserung seiner Symptome erlebte. Eine weitere Fallstudie berichtet von einer 35-jährigen Frau mit chronischen Kopfschmerzen, die nach einer Serie von Schröpf-Behandlungen eine signifikante Reduktion der Schmerzintensität und -häufigkeit erfuhr. Doch wie immer gilt auch hier: Du musst für dich selbst entscheiden, ob du dem Cupping eine Chance geben willst und ob es dir als Läufer einen Vorteil bringt.
Kontraindikationen und Vorsichtsmaßnahmen
Natürlich gibt es aber auch immer eine Kehrseite der Medaille. Obwohl Schröpfen viele Vorteile bietet, gibt es auch Kontraindikationen – also Kriterien, die die therapeutische Maßnahme verbieten – und Vorsichtsmaßnahmen, die beachtet werden müssen.
Menschen mit bestimmten gesundheitlichen Bedingungen sollten auf eine Cupping-Behandlung verzichten. Dazu gehören Personen mit Blutgerinnungsstörungen, Hautinfektionen oder offenen Wunden. Auch bei Schwangerschaft oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen sollte Schröpfen nur nach Rücksprache mit einem Arzt durchgeführt werden.
Grundsätzlich ist Schröpfen eine faszinierende Therapie mit einer langen Geschichte und vielfältigen Möglichkeiten. Von der traditionellen chinesischen Medizin bis zur modernen Sportmedizin hat das Cupping seinen Platz als wirksame Methode zur Förderung der Gesundheit und des Wohlbefindens gefunden. Klar ist jedoch, dass noch weitere wissenschaftliche Forschungen erforderlich sind, um die genauen Mechanismen und langfristigen Vorteile des Schröpfens vollständig zu verstehen. Doch die bisherigen Belege zeigen, dass Cupping eine wertvolle Ergänzung zu verschiedenen Behandlungsmethoden sein kann.
Bleibt lediglich die Frage, ob du schmerzende und verhärtete Muskeln mal mit Schröpfgläser behandeln lassen willst – die feuerroten Hautverfärbungen sehen zwar wüst aus, aber wenn die Therapie funktioniert? (Text von Robin Siegert)