Smells Like Team Spirit
Wollen alle, die alleine trainieren, auch alleine bleiben? Wann macht das Training in der Gruppe mehr Sinn und wann nicht? Welche Rolle spielt dabei, neben dem Wissen, die mentale Komponente?
Laufen gilt gemeinhin als Einzelsportart. Dem entgegen steht jedoch ein aktueller Trend – ein Netzwerk, welches sich rund um den Globus spannt: Laufen in Gruppen oder in Run-Communities, wie es neudeutsch heißt. Oberflächlich betrachtet, sind die neuen Klubs vergleichbar mit einem Lauftreff. Es ist jedoch noch mehr Lebensgefühl und Gemeinschaft, weit über das Laufen, mit dabei. Wie man es auch immer bezeichnen mag, das Laufen und Trainieren in Gruppen bringt viele positive Eigenschaften und Energie mit sich. Jedoch gibt es, wie bei nahezu allen Dingen im Leben, auch die andere Seite der Medaille: Die Bedürfnisse jedes Läufers an eine Gruppe sind sehr unterschiedlich. Die einen suchen den lockeren Lauftreff, die anderen wollen sich mit guten Läufern messen. Wie verschieden die Ansprüche und der Umgang damit sind, lässt sich im folgenden Text erkennen.
Leistungsschub
Mit den Ansprüchen der unterschiedlichen Läufertypen habe ich mich in meiner Arbeit als Mentalcoach ausführlich beschäftigt. Jochen beispielsweise ist mit seinem Wunsch nicht allein. Auf Instagram gesteht er: „Ich hätte gerne eine Gruppe fürs Laufen. Wo man zusammen Intervalle macht, sich dabei bis ans Limit pusht.“ Offenbar braucht er die Gruppe nicht, um laufen zu gehen, sondern um schneller zu laufen. Woran liegt es, dass sich die meisten gerade für das Tempotraining eine Laufgruppe wünschen? An fehlendem Know-how oder fehlender Motivation?
Die ambitionierte Läuferin Saskia hat das, was Jochen noch sucht, bereits gefunden: ein Läufer-Umfeld, das gut zu ihr passt. Bei ihr sind die typischen, daraus folgenden positiven Leistungseffekte eingetreten. Zum einen der Motivationsschub: Die Aussicht, Gleichgesinnte zu treffen und gemeinsam Spaß zu haben, ist für sie ein guter Grund, abends anstelle des Sofas die Tartanbahn zu wählen. Man geht lieber zu einer Verabredung, die man schon im Vorfeld getroffen hat, als diese abzusagen.
Dann der soziale Wettbewerb: Saskia erlebt immer wieder, wie sie nochmal an Leistung zulegen kann, weil die Motivation steigt, am Vordermann dranzubleiben, also noch ein bisschen mehr Gas zu geben. Bei manch einem steigt auch die Motivation, zu zeigen, dass man leistungsstärker und damit fitter ist als andere. Dann die soziale Kompensation: Wenn sie mit ihrem Team an den Start geht, dann erlebt sie, dass sie sich als leistungsstarkes Mitglied umso mehr anstrengt, um Leistungsschwächere zu kompensieren. Doch das Laufen in der Gruppe hat nicht nur Vorteile, wie das Ultra-Läuferpaar Claudia und Alex zu berichten weiß. Die beiden handhaben es so, dass sie am Wochenende in der Regel zu zweit laufen, gerne auch in einer größeren Gruppe. Unter der Woche laufen sie jedoch zu 80 Prozent alleine – aufgrund von Zeitmangel.
Der Aufwand, das Training unter der Woche gemeinsam mit anderen zu koordinieren, wäre zu hoch. Ben sieht einen Nachteil darin, sich leistungsmäßig an anderen zu orientieren: „Tatsächlich trainiere ich eigentlich immer alleine. Wenn man trainieren möchte, geht das zu mehreren kaum, da es schwierig ist, jemanden im selben Leistungsbereich zu finden.“ Doch auch er gibt zu, dass das Tempotraining hierbei eine Ausnahme bilden kann: „Klar, Intervalle auf der Bahn sind natürlich kein Problem. Aber läuft man eine Strecke, finde ich es kaum möglich, wenn wir von Trainieren sprechen.“ Viele Amateur-Läufer haben also Bedenken, sich einer Gruppe anzuschließen, in erster Linie aus Zeit- oder Leistungsgründen.
Motivationsverluste
Mir sind auch Fälle bekannt, in denen die Motivation, der gefundenen Gruppe weiterhin anzugehören, nachlässt: der Konflikt-Klassiker in vielen Vereinen. Dazu gehört das sogenannte „soziale Trittbrettfahren“. Wenn immer nur der oder die gleiche ein Gruppen-Training organisiert und die anderen ihn dabei nicht entlasten, kann es passieren, dass dem ehrenamtlichen Organisator irgendwann die Lust vergeht. Die anderen sind dann womöglich im Rennen sogar schneller, weil sie ja weniger Zeit für die Koordination der Trainings aufbrachten oder ähnliches.
Aus Frust lösen sich dann solche Gruppen wieder auf. Auch kann es demotivierend sein, in einer Gruppe zu laufen, die nicht dem eigenen Leistungsniveau entspricht. Unter- wie auch Überforderung sind auf Dauer Motivationskiller. Dem kann das ganze Team aber entgegenwirken: Wenn eine Gruppe einen guten Umgang miteinander pflegt, wird sie auch für die Tempo-Unterschiede Lösungen finden. Es ist also mal wieder eine Frage von Respekt und Kommunikation.
Risiko-Schub-Phänomen
Es gibt noch eine weitere Thematik, vor der sich gerade umsichtigere Läufer scheuen: In Gruppen werden wir alle risikofreudiger. Das ist genau das Phänomen, das Ben beschreibt, wenn er befürchtet, in Gruppen nicht mehr sein Tempo laufen zu können. In manchen Trainingseinheiten zeigen sich daher bei einigen Läufern bessere Leistungen als im eigentlichen Rennen. Wir sprechen dann vom „Trainingsweltmeister“, der sich in jedem Training verausgabt, um (unbewusst) andere zu beeindrucken und dabei vergisst, in den eigenen effektiven Trainingsbereichen zu bleiben – im Grunde eine Verwechslung von Training und Wettkampf. Die Tendenz, dass sich Gruppen oftmals pushen, führt man in der Psychologie darauf zurück, dass Gruppen gemeinsam ein höheres (Tempo-)Risiko eingehen, wobei die Verantwortung des einzelnen für das Pacing diffuser wird.
Dahinter stehen Gedanken wie: „Die anderen werden schon wissen, was sie machen, laufe ich das Tempo mit, mache ich schon nichts falsch.“ Wer der Gruppe aber seine Zweifel zeigt, wird häufig von den anderen fälschlicherweise als weniger leistungsstark wahrgenommen. Daher halten viele den Mund. Der Risiko-Schub-Effekt sollte daher von einem verantwortungsvollen Trainer erkannt und wohldosiert werden. Denn dieses Phänomen kann sich ja auch positiv auswirken. Das Credo „Gemeinsam sind wir stark“ ermöglicht es, dass Grenzen überschritten werden – aufgrund des Team-Zusammenhalts und der gegenseitigen Motivation. Ich habe das selbst bei einem Rennen erlebt: Wir liefen zu dritt und das Tempo fühlte sich weniger hart an als in jedem Training zuvor.
Vielschichtigkeit
Wer also die Vorteile von Gruppenprozessen nutzen will, muss sich diese vielschichtigen Aspekte vergegenwärtigen. Auf jeden Fall brauchen Läufer, die von den positiven Effekten einer Gruppe profitieren wollen, eine Portion Teamspirit. Wer wie Ben lieber auf einen realen Laufpartner verzichtet, der könnte darüber nachdenken, sich womöglich einen digitalen Laufpartner zu suchen. Auch das Anvisieren von Strava-Segmenten ist natürlich eine weitere Motivationsmöglichkeit für Tempoeinheiten. Segmente kommen vor allem für diejenigen in Frage, die sich gerne mit Auswertungen befassen.
Virtuelle Communities wie Strava können leistungssteigernde Elemente enthalten, wenn die User sich selbstverantwortlich ihre Vernetzung zusammenstellen und sich des Risiko-Schub-Phänomens mit seinen Vorund Nachteilen bewusst sind. Dann kann es unterstützend wirken, dass die Mitglieder sich gegenseitig motivieren und sich unter ihresgleichen wohlfühlen. Für mehr Biss habe ich Strava bereits einmal im Mental Coaching einsetzen können. Eine Athletin, die aufgrund ihres aktuellen Wohnorts nicht so viele Wettkämpfe bestreiten kann, wollte mehr Rennroutine, um ihre extrem ausgeprägte Nervosität besser in den Griff zu bekommen. Mit ihr habe ich vereinbart, dass sie bewusst Strava-Segmente auswählt und sich diesen wettbewerbsorientiert stellt. Denn auch der „Beast-Mode“ will trainiert werden.
Gruppe vs. Team
- Es gilt im Sport zwischen Gruppe und Team zu unterscheiden: So haben Teams leistungsorientierte Ziele. Teams bedürfen einer stärkeren Führung (z.B. durch einen Trainer) und sind in ihrer Zusammensetzung zeitlich und personell stabil (z.B. Sportmannschaft). So ist es ein wesentlicher Unterschied, ob sich eine Gruppe von Läufern für zwei Wochen im Trainingslager trifft oder ein Team ein ergebnisorientiertes, gemeinsames Ziel (z.B. eine Staffel) hat.
- Im Gegensatz zum Team will in einer Gruppe jeder seine individuellen Ziele erreichen.
- Kleine Gruppen (ca. 6–8 Personen) erreichen gemeinsam oft bessere Ergebnisse als große Gruppen, da dort in der Regel mehr Leistungseinsatz des einzelnen gefordert wird.
- Als Nachteil größerer Gruppen ergibt sich oftmals, dass sich schwächere Mitglieder (in der Minderheit) weniger trauen, anzuzeigen, wenn ihnen etwas nicht gefällt oder nicht guttut. Gespräche dazu werden oft erst nachträglich oder bereits in der Eskalationsstufe geführt. Das Gefühl des einzelnen für das Geschehen in der Gruppe bzw. für das Leistungsergebnis verantwortlich zu sein, nimmt in großen Gruppen ab. Für dominante Gruppenmitglieder besteht gleichzeitig eine größere Chance, sich durchzusetzen.
Gruppenleistungen sind abhängig von
- Zusammenhalt • Klarheit und Akzeptanz der Rollenverteilung • Interaktion, Kommunikation, Kooperation und Wettbewerb untereinander • Tempo, Leistungsniveau, sportlicher Vorerfahrung • Gruppengröße
unsere expertin
Daniela Dihsmaier Alter: 40 Beruf: Die Amateur-Triathletin ist Speaker, Systemischer Mental Coach und Hochschuldozentin. Ihr Buch „Brutal Mental – Mentale Stärke ist mehr als nur Siegerdenken“ ist im Pflaum Verlag (2018) erschienen.