Studie
Foto: Stephen Martera

Wenig Aufwand, großer Effekt

Eine Studie der Uni Göteborg belegt: Das Risiko, sich beim Laufen zu verletzen, lässt sich bis zu 85 Prozent senken. Was man dafür tun muss, erklärt Sportmediziner Prof. Dr. Stefan Grau, der an dieser Studie beteiligt war.

Herr Prof. Dr. Grau, Laufen ist beliebt und gesund. Aber wie hoch ist das Verletzungsrisiko, wenn man diesen Sport betreibt?

Es gibt unterschiedliche Studien dazu und es hängt auch ein wenig davon ab, wie man eine Verletzung definiert. Konservativ gesprochen, lässt sich feststellen, dass etwa 40 bis 45 Prozent der Hobbyläufer sich ein Mal pro Jahr eine Verletzung zuziehen. Damit ist die Gruppe gemeint, die zwischen zehn und 20 Kilometern in der Woche laufen, dies schon etwa seit zwei bis fünf Jahren. Bei ihnen treten am häufigsten Überlastungsbeschwerden auf. Bei Laufanfängern lässt sich das nicht näher bestimmen, aber ich würde spekulieren, dass Verletzungen beziehungsweise Überlastungsbeschwerden bei Einsteigern noch häufiger auftreten.

Verletzungsprävention zu betreiben wäre eine Möglichkeit, dem entgegenzuwirken. Sie haben dazu eine Studie an der Universität Göteborg durchgeführt und die Ergebnisse im letzten Jahr veröffentlicht. Woher kam der Impuls dazu?

Ich beschäftige mich bereits seit ungefähr 20 Jahren damit, wie Überlastungsbeschwerden im Sport – vor allem im Laufsport – entstehen. Zu Beginn haben wir geschaut: Wie unterscheiden sich Läufer, die zum Beispiel ein spezielles Überlastungsproblem im Achillessehnenbereich haben, von gesunden Läufern? Dabei betrachteten wir die Biomechanik, klinische Daten und so weiter und erhielten einen ersten Eindruck von möglichen Risikofaktoren. In den späteren Jahren haben wir vor allem prospektive Studien durchgeführt. Das heißt, wir haben gesunde Läufer gescreent, über ein Jahr lang beobachtet und bei auftretenden Verletzungen versucht, typische Risikofaktoren zu entdecken. Diese fanden wir zum Beispiel im Kraftbereich, etwa Dysbalancen zwischen Hüftabduktoren und -adduktoren oder zwischen der Oberschenkelvorderseite und -rückseite. Aber auch die Bewegungsanalyse – Instabilitäten im Sprunggelenk, in der Beinachse und so weiter – lieferte uns wichtige Erkenntnisse. Nach dieser Studie lagen uns damit unterschiedliche Risikofaktoren aus der Biomechanik, aus den Bereichen Kraft und Bewegung vor. Aus klinischer Sicht waren zudem schmerzhafte Triggerpunkte als Risikofaktoren nachweisbar.  Für diese Risikofaktoren haben wir schließlich ein Trainingsprogramm entwickelt, das auch in der Studie zur Verletzungsprävention publiziert wird.

Laut der Studie kann gezieltes Kraft- und Faszientraining das Verletzungsrisiko von Läufern um 85 Prozent senken. Wie bewerten Sie das Ergebnis?

Das Ergebnis hat mich nicht überrascht, aber der hohe Wert schon. Das Trainingsprogramm wurde wie bereits erwähnt für alle möglichen Überlastungsbeschwerden und nicht für spezifische Verletzungen entwickelt. Auch wenn ich gehofft hatte, dass das Programm das Verletzungsrisiko deutlich senkt, so war ich am Ende doch überrascht von den 85 Prozent.

An der Studie haben insgesamt 433 Freizeitläufer über einen Zeitraum von 18 Wochen teilgenommen. Was waren die wichtigsten Merkmale der Probanden?

Die meisten Hobbysportler laufen zwischen zehn und 20 Kilometern, ein bis zwei Mal wöchentlich. Deswegen haben wir als Kriterium festgelegt, dass unsere Teilnehmer im Schnitt circa 15 Kilometer pro Woche laufen und dies mindestens bereits seit einem Jahr, also erfahrene Freizeitläufer sind. Zudem durften die Probanden keine Überlastungsverletzung haben, die kürzer als sechs Monate zurücklag. Einlagen und weitere orthopädische Hilfsmittel waren nicht erlaubt. Ansonsten wollten wir so wenig wie möglich einschränken und haben zum Beispiel die Zahl der gelaufenen Kilometer nach oben offen gehalten. 

Sie haben zwei Gruppen gebildet: eine sogenannte Interventionsgruppe mit 228 Teilnehmern, die zusätzlich Ihren Trainingsplan mit Kraftübungen und Faszientraining absolvierten. Und eine Kontrollgruppe mit 205 Teilnehmern, die ihre Trainingsgewohnheiten beibehielten, ohne zusätzliche Übungen.

Richtig. Wir wollten den Läufern der Interventionsgruppe ganz bewusst ein Programm an die Hand geben, für das sie nicht extra ins Fitnessstudio gehen mussten. Sie benötigten dafür lediglich Faszienrollen und Loop-Bänder und konnten die Übungen mit dem eigenen Körpergewicht durchführen. Diese Gruppe haben wir gebeten, ihr Lauftraining ganz normal weiterzuführen, aber eben zusätzlich zwei Mal pro Woche die Intervention auszuführen. Die Dauer dieses Trainingsprogramms umfasste pro Einheit etwa 20 bis 25 Minuten. Dieses haben wir als webbasierte Version entwickelt, die uns ermöglichte, zu überprüfen, ob und wie oft die Teilnehmer unser Trainingsprogramm absolviert haben. Dadurch konnten wir die Interventionsgruppe in drei Untergruppen kategorisieren: hohe Einhaltung mit 32 bis 40 Trainingseinheiten nach Plan während der 18 Wochen, mittlere Einhaltung mit 18 bis 31 Trainingseinheiten nach Plan sowie geringe Einhaltung mit null bis 17 Trainingseinheiten – also weniger als einer pro Woche. 

Wie stark hielten sich die Probanden an die Vorgaben – und mit welchen Folgen?

Von den Läufern hielten sich 100 nur geringfügig an das vorgegebene Trainingsprogramm, 63 folgten der Intervention mittelmäßig und 65 Läufer hielten sich in hohem Maße an den vorgegebenen Trainingsplan. Das Laufvolumen und die laufbedingten Schmerzen wurden von allen Teilnehmern wöchentlich protokolliert. Insgesamt haben wir 100 laufbedingte Verletzungen registriert. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Läufer im Zeitraum von 18 Wochen eine laufbedingte Verletzung erleidet, betrug bei der Kontrollgruppe 27 Prozent, während sie in der Interventionsgruppe bei nur 23 Prozent lag. Obwohl zwischen der Gesamt-Interventionsgruppe und der Kontrollgruppe kein statistisch signifikanter Unterschied festgestellt wurde, zeigte sich eine bedeutende Differenz zwischen der Teilgruppe, die sich in hohem Maße an die Trainingsintervention hielt, und der Kontrollgruppe. Hielten sich die Freizeitläufer stark an die Intervention, hatten sie ein um 85 Prozent geringeres Verletzungsrisiko. Außerdem dauerte es bei ihnen durchschnittlich 57 Tage länger bis zum Auftreten der ersten läuferbezogenen Verletzung.

Im Gesamtergebnis bedeutet das, dass ein Läufer sein Verletzungsrisiko mit einem relativ geringen Einsatz von Mitteln und Zeit stark minimieren kann?

Eindeutig ja. Wenn Sie zum normalen Lauftraining zwei Mal pro Woche etwa eine halbe Stunde investieren – und diese Übung können Sie abends vor dem Fernseher machen –, dann ist der Aufwand für eine effektive Verletzungsprävention nicht allzu groß. (Interview geführt von Frank Schwantes)

Experte: Prof. Dr. Stefan Grau
Der 58-Jährige arbeitet als Wissenschaftskoordinator Spitzensport für den Landessportverband Baden-Württemberg. Stefan Grau ist Professor für Biomechanik und Bewegung an der Universitätsklinik Tübingen, Abteilung Sportmedizin. Er hat seinen Sitz am Olympiastützpunkt in Stuttgart (Außenstelle der Sportmedizin Tübingen).
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