Endlich Schluss mit Gummibeinen
Nach dem Marathon direkt wieder auf die Laufstrecke – oder doch eher direkt aufs Sofa? Beides kann richtig sein. Wichtige Basics sollten beachtet werden, um Tapering und Regeneration gesund zu gestalten.
Tapering gilt als besondere Phase im Vorfeld eines Wettkampfs, in welcher der Trainingsumfang reduziert wird. Die Dauer der Tapering-Phase sollte sich nach der Intensität und dem Umfang des anstehenden Wettkampfes richten. Es macht also grundsätzlich einen Unterschied, ob ein 10-Kilometer-Lauf ansteht oder ein Marathon.
Erholung
In dieser Phase des Trainings soll sich der Körper von der harten und fordernden Trainingsbelastung der Vorwochen und -monate erholen. Kleinere Verletzungen sollten auskuriert werden, zum Beispiel Mikro-Verletzungen in der Muskulatur. Dabei können ein gezieltes Stretching oder andere Mobilitätsübungen helfen, zum Beispiel auf einer Yoga-Matte. Aber Vorsicht: Diese sollten natürlich behutsam und vor allem korrekt ausgeführt werden, um die Muskeln nicht zu beschädigen.
VOLLE GLYKOGENSPEICHER FÜR VOLLE POWER
Auch die Energievorräte sollen nun aufgefüllt werden, in erster Linie die Glykogenspeicher. Ein ausgiebiges Abendessen in der Hotelbar oder die Pastaparty auf der Marathonmesse allein reicht aber meist nicht aus, wie Lauf-trainer Helmut Bezani am eigenen Leib erfahren durfte. „Am Tag vor dem Hamburg-Marathon hat meine Gruppe mich auf eine mexikanische Nudelpfanne eingeladen. Die hat sich schon auf Kilometer 10 am nächsten Tag deutlich bemerkbar gemacht, in Form von Blähungen und Magenschmerzen. Am Ende wurde die angestrebte Bestzeit – aufgrund zahlreicher Dixi-Besuche – um mehr als eine Stunde verpasst.“ Deshalb sollte bereits zu Beginn des Taperings die korrekte Nahrungsaufnahme geprobt und trainiert werden.
2 Speicher
Der Mensch verfügt über zwei Glykogen-, also Kohlehydratspeicher. Diese befinden sich in der Leber und in der Muskulatur. Die Speicherkapazität von Kohlehydraten in der Leber ist unter anderem abhängig vom Trainings- und Gesundheitszustand der Läuferin oder des Läufers. In erster Linie dient die Kohlehydratversorgung aus der Leber der Aufrechterhaltung des Blutzuckerspiegels. Sie ist somit hauptverantwortlich für die Versorgung des Gehirns.
Sie haben es vielleicht schon mal beobachtet: Ein Marathonläufer torkelt kurz vor dem Ziel nur noch über die Strecke? Das liegt daran, dass seine Energiereserven aus der Leber komplett leer sind und das Gehirn nicht mehr ausreichend versorgt wird. Als zweiter Kohlehydratspeicher steht dann nur noch die Muskulatur zur Verfügung. Die sollte allerdings der allerletzte Notnagel sein, denn: Wer zehrt schon gerne seine eigenen Kraftspeicher auf?
MIT DER RICHTIGEN DOSIS ZUR BESTFORM
Auch beim Tapering gilt: Oft ist weniger mehr. Um auf den Punkt in Bestform zu sein und die Erfolge seines Trainings ernten zu können, sind die letzten Tage und Wochen vor dem Event von immenser Bedeutung. In dieser Phase verzeiht der Körper Trainingsfehler nur noch bedingt. Wie lang sollte die ideale Tapering-Phase für einen Läufer sein? Als Faustformel lässt sich sagen, dass 10-Kilometer- Läufer eine Woche, Halbmarathonläufer zwei Wochen und Marathonläufer drei Wochen vor dem Wettkampf tapern sollten. Der Umfang und die Trainingsinhalte sollten idealerweise von einem ausgebildeten Lauftrainer auf den Läufer zugeschnitten werden, denn nichtnur die Dauer der Tapering-Phase ist wichtig, sondern auch die Intensität.
Individuell gestalten
Nur so lässt sich am Wettkampftag das Optimum an Leistung aus dem Körper herausholen. Idealerweise dient die Tapering-Phase der aktiven Erholung. Wenngleich der Trainingsumfang auf ca. 60 bis 75 Prozent des üblichen Trainingsumfangs herunterfahren wird, legt der Hobbyläufer auch gerne schon mal einige Tage eine Trainingspause ein. Das Tapering ist letztendlich genauso individuell wie der Trainingsplan und die Leistungsfähigkeit eines jeden Athleten. Die richtige Dosis macht es, denn sowohl zu viel als auch zu wenig kann die Leistungsfähigkeit schmälern.
Neben der Reduzierung des Umfangs und der Belastung sollte jeder Athlet dafür sorgen, dass sowohl die Spritzigkeit als auch die Form nicht verloren geht. Während die Umfänge der langen Läufe in den Vorwochen sukzessive runtergefahren werden, sollten die Tempo-Einheiten jedoch nicht ganz aus dem Plan gestrichen werden. In der letzten Woche sollten dann noch mal kürzere Tempoläufe im Unterdistanztempo anstehen. Zu intensive Einheiten sollten in dieser Phase absolut vermieden werden: Sie fordern den Körper zu stark, sodass die Bestform am Wettkampftag leidet.
NACH DEM WETTKAMPF IST VOR DEM WETTKAMPF – DIE RICHTIGE REGENERATION
Unter Regeneration versteht man die Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit nach einer vorausgegangenen Belastung. Hierzu zählt in der Wettkampfvorbereitung die Phase eines erhöhten Trainingsumfangs oder einer erhöhten Trainingsintensität. Aber auch die Phase unmittelbar im Anschluss an einen Wettkampf zählt. In der Regeneration findet die körperliche Anpassung an die zuvor gesetzten Trainingsreize statt. Das bedeutet auch: Ohne eine regelmäßige Anpassung ist eine Leistungsverbesserung nicht möglich. In der Folge könnte beispielsweise ein Abrutschen ins Übertraining drohen – das trotzdem nichts bringt, weil der Körper sich nicht an die Belastung anpassen kann.
REGENERATION IST GENAUSO WICHTIG WIE GRUNDLAGEN-AUSDAUER UND TEMPO-TRAINING!
Trotz Wettkampf-Eifer sollte der Regeneration ein größtmöglicher Stellenwert zugesprochen werden. Anders als das Tapering sollte die Regeneration nicht von der Wettkampflänge abhängig sein, denn idealerweise hat die Vorbereitung auf eben jenen Wettkampf (unabhängig von der Distanz) zuvor genauso lange gedauert. Die ideale Vorbereitungszeit sollte immer mindestens zehn Wochen betragen, im Regelfall jedoch nicht länger als 16 Wochen.
Die einzelnen Erholungsphasen innerhalb des großen Begriffs „Regeneration“ könnten unterschiedlicher nicht sein. Mindestens sechs Belastungsbereiche sollten ausreichend Erholung erhalten: Die Herzfrequenz, die Abwehrkräfte, der Abbau von Laktat, die Reparatur der mikromuskulären Strukturen innerhalb der Muskulatur, die Versorgung des Körpers mit Flüssigkeit und Glykogen – und nicht zuletzt die Psyche.
Während die Reduktion der Herzfrequenz oftmals nur wenige Minuten in Anspruch nimmt, kann der Abbau von Laktat in der Muskulatur bereits einige Stunden dauern. Ein leichtes „Auslaufen“ oder „Ausgehen“ kann hier hilfreich sein. Auch eine Massage, ein heißes Bad oder das Ausrollen mit einer Schaumstoffrolle auf einer Matte können sich positiv auswirken.
Das Wiederauffüllen von Flüssigkeiten und Glykogen kann unter Umständen mehrere Tage in Anspruch nehmen. Auch die Abwehrkräfte brauchen ein paar Tage Zeit, um sich zu repositionieren: Sind wir erst mal bis zur vollständigen Erschöpfung gelaufen, ist der „Open-Window-Effekt“ umso größer und hält umso länger an. Das bedeutet: Durch intensives Training und den Wettkampf selbst entsteht eine Lücke im Immunsystem, die Viren und Bakterien Tür und Tor öffnet.
VON EINEM MARATHON ZUM NÄCHSTEN?
Die sportliche Belastung, die Hektik am Wettkampftag, die Zuschauermassen oder der Adrenalinrausch während des Endspurts gehören zwar dazu, sind aber auch eine Belastung für Körper und Geist. Für die Reparatur der Muskulatur und die Erholung der Psyche können daher mehrere Wochen erforderlich sein. Aus diesem Grund sollte eine Regenerationsphase idealerweise drei Wochen betragen. In dieser Zeit sollten keine harten Trainingseinheiten – sowohl im Umfang als auch an Intensität – und keine Wettkämpfe stattfinden. Ihr Körper wird es Ihnen mit Anpassung und Verbesserung der Leistungsfähigkeit danken.
TIPPS: DER GELUNGENE WETTKAMPF
Die letzten Tage vor dem Wettkampf: Was ist besonders wichtig, und worauf sollte vermehrt geachtet werden?
Die letzten Tage vor dem Wettkampf beginnen spätestens mit dem Beginn der Tapering-Phase. Ab jetzt helfen oftmals schon Kleinig-keiten, zum Beispiel, dass die Wochenendläufe zur selben Uhrzeit stattfinden wie der Wettkampf und das richtige Timing für die letzte Mahlzeit vor dem Wettkampf erprobt wird. Das Frühstück sollte in dieser Phase auf Verträglichkeit, Sättigung und Verstoffwechselung geprüft werden. So stellt sich ein verlässlicher Gewöhnungseffekt für den Körper ein. Das gilt auch für den Schlafrhythmus. In den letzten vier Tagen stellen Sie sich dann Ihr Rennen vor – träumen Sie beispielsweise vom Zieleinlauf oder von Bildern, die Sie immer erleben wollten. Nun beginnt es zu kribbeln – und die Vorfreude wächst!
Wie beginnt die optimale Regeneration nach dem Marathon?
Die Regenerations-Phase startet im besten Fall unmittelbar im Anschluss an den Wettkampf. Auch der Moment nach dem Zielein-lauf, das Umhängen der Finisher-Medaille und die Zielverpflegung gehören somit schon zur Regeneration. Danach gilt es, den „Open-Window-Effekt“ zu minimieren und Erkältungen keine Chance zu geben: Warme und angemessene Kleidung schützt vor dem Auskühlen. Das gilt auch an heißen Sommertagen! Schon eine ungünstige Position in Zugluft kann ausreichend sein, um sich zu verkühlen. Ab jetzt beginnt die individuelle Regeneration, ganz egal ob aktive oder passive Regeneration. Persönliche Vorlieben stehen an erster Stelle, aber die können nach jedem Rennen anders sein. Mal ist es ein alkoholfreies Weizen und mal ein Auslaufen mit anschließendem Duschen und einem kurzen Mittagsschlaf im Hotel.
Ernährung: Was esse ich am besten?
Nach dem Einsetzen der ersten Erholung am Nachmittag darf ein vollwertiges und ausgewogenes Essen nicht fehlen. Aber auch hier gilt – regenerieren Sie individuell. Je ausgewogener die Ernährung, desto besser die Verstoffwechselung und die Regeneration. Der Körper hat in dieser Phase noch genug mit den vorangegangenen Belastungen aus dem Wettkampf zu tun. Alkohol und ungesundes Essen sollten unmittelbar nach dem Lauf nicht auf dem Ernährungsplan stehen.
Der ultimative Tipp für Muskulatur und Psyche
Hat man ein Training verpasst oder in der Phase nach dem Wettkampf einfach mal keine Lust auf Laufen, sollte man das akzeptieren und dabei belassen. Genießen Sie den Moment, seien Sie stolz auf das Erreichte und setzen Sie die Regeneration nach Ihren individuellen Bedürfnissen fort. Ähnlich sollte es übrigens auch in der Wettkampfvorbereitung sein: Wenn Sie einmal ein Training aus den unterschiedlichsten Gründen verpasst haben, dann versuchen Sie nicht, es krampfhaft nachzuholen.