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Mein Schweinehund

Ein lauffauler Gelegenheitsläufer und professionelles Training via App: Passt das zusammen? Durchaus – wenn es da nicht diese fiese innere Stimme gäbe, die wohl jeder von uns kennt …

Warum habe ich mich bloß darauf eingelassen? Der strömende Regen wäre eigentlich ein guter Grund, den freien Tag auf der Couch zu verbringen – mit Sicherheit aber nicht, extra früh aufzustehen und laufen zu gehen. Aber ich habe ja noch „Hausaufgaben“ zu erledigen …

Rückblende

Ein paar Monate früher. Fertig mit mir und der Welt stehe ich nach meinem ersten gefinishten Halbmarathon im Zielbereich, aber in den Stolz mischt sich die bereits eingangs erwähnte Frage, die mich auch unterwegs treu begleitet hat: „Warum habe ich mich bloß darauf eingelassen?“ Schließlich war ich doch bislang eigentlich immer ganz zufrieden damit gewesen, nur ab und zu am Wochenende mal einen kleinen 5- oder auch mal 10-Kilometer-Lauf zu machen, wenn in der Nähe ein Volkslauf stattfand.

Training? Brauche ich dafür doch nicht. Meint jedenfalls mein innerer Schweinehund, der in dieser Geschichte noch eine bedeutende Rolle spielen wird. Mit der Zeit aber, das ist ja das Schöne (und, in diesem Fall, irgendwie auch das Problem) beim Laufen, wurde dann der Ehrgeiz doch ein wenig gekitzelt, wenn ich Mitläufern zuhörte, für die diese kleinen Läufe eigentlich nur kleine „Appetithäppchen“ zwischen längeren waren. Also meldete ich mich dann selbst für einen „Halben“ an. An meinem Trainings- bzw. eben Nichttrainingsumfang änderte ich nichts – was sollte denn schon schiefgehen?

Selber schuld

Diese Hybris kam mich bereits während des Laufs teuer zu stehen: Das erste Drittel lief super, das zweite schon deutlich schleppender, und die letzten Kilometer fühlten sich jeder einzelne selbst wie ein Halbmarathon an. Ganz zu schweigen von der Mutter aller Muskelkater, die mich in den folgenden Tagen zu einem Bewegungsstil zwang, der nicht nur bei meiner Frau für einige Erheiterung sorgte. Aber ich war ja selbst schuld. Und trotz aller „Nie wieder!“-Schwüre in den Tagen nach dem Lauf juckte es ja doch wieder in den Füßen, und eigentlich, das war mir klar, würde ich einen längeren Lauf auch noch einmal richtig genießen wollen.

21 Kilometer

Ja, ich weiß, für etliche Leser sind die 21 Kilometer Peanuts, aber ich war vorher niemals so viel am Stück gelaufen – die Strecke entspricht eher meinem üblichen Pensum von drei bis vier Wochen. Der Nachteil: Für dieses Ziel würde es, das hatte sich gezeigt, nicht reichen, wie bisher weiter gelegentlich am Wochenende mal ein bisschen zu laufen, sondern ich würde schwerere Geschütze auffahren müssen. Heißt: wirklich trainieren, auch unter der Woche laufen – und das am besten mit System. Mich einer Laufgruppe anzuschließen wäre eine gute Idee gewesen, aber eigentlich, muss ich zugeben, laufe ich meist doch lieber für mich allein, meinen eigenen Rhythmus. Außerdem wollte ich auch zeitlich flexibel bleiben.

Training mit Plan

Über die aktiv Laufen-Redaktion kam dann der Kontakt zu Lauftrainer Michael Arend mit der Idee eines „Fern-Coachings“ zustande. Der Plan: Der Profi legt Pensum und Art des Trainings für jede Woche fest, und ich absolviere die entsprechenden Einheiten am vorgesehenen Tag. Die Auswertung und Festlegung der Einheiten erfolgt über die Daten einer Laufuhr und die App „TrainingPeaks“. Auch das noch: Laufuhr und Trainings- App – wie oft habe ich mich selbst insgeheim über Läufer amüsiert, deren größte Aufmerksamkeit an Start- und Ziellinie nicht der Strecke oder den Menschen rechts und links galt, sondern diesem kleinen Sklaventreiber am Handgelenk. Und jetzt soll ich selbst so einer werden? Ganz offensichtlich.

Der Ordnung halber

Schließlich soll ja alles ordnungsgemäß dokumentiert werden, damit Michael mich trotz der Entfernung von gut 450 Kilometer Luftlinie coachen – und dabei wirklich besser machen – kann. Dass das geht, davon bin ich nach unserem Kennenlern-Telefonat überzeugt, bei dem er mir aber auch klargemacht hat: Ich muss öfter und mehr laufen als bisher. „Ich wusste, dass da ein Haken ist“, höre ich meinen inneren Schweinehund seufzen. Und so bin ich schließlich in der Situation gelandet, in der ich zu Beginn des Artikels war: die Laufschuhe schnürend, während dicke Regentropfen gegen das Fenster klatschen.

Keine Ausrede

Der Trainingsplan kennt nun mal keine mildernden Umstände, auch wenn heute zum Auftakt nur ein kurzer Lauf ansteht. Netterweise hat mich auch direkt nach dem Aufstehen noch eine Push-Nachricht daran erinnert … Schließlich, wie um mir auch die letzte Ausrede zu nehmen, klart auch noch der Himmel auf. Also raus durch die Tür und losgelaufen. Für mich schon ungewohnt, mal so ganz ohne Wettkampfcharakter, dafür aber eben auch länger als die gewohnten fünf Kilometer.

Im Flow

Und wie es eigentlich zu erwarten war: Allmählich kommt der Spaß am Laufen, und bald bin ich im Flow. Anders als von den kurzen Volksläufen gewohnt, laufe ich diesmal nicht auf eine feststehende Ziellinie zu, sondern Michael hat mir für diesen Lauf nur das ungefähre Tempo und die Gesamtzeit im Kalender der App eingetragen. Und so lerne ich langsam doch die Vorteile meiner mit der App gekoppelten Laufuhr zu schätzen: Immer wieder piept es, weil ich nicht im vorgegebenen Tempo- bzw. Herzfrequenz- Korridor bleibe – sei es, weil ich zu sehr aufs Gas drücke oder weil ich zu sehr trödele.

Greifbare Ziele

So sehr das Gepiepe auch nervt: Es hilft mir mit der Zeit, gleichmäßiger zu laufen und auch mein Tempo besser einzuschätzen. Das, so bestätigt mir Michael, ist einer der Bausteine dafür, dass mein bescheidenes Ziel – fitter zu werden für längere Strecken –, in Reichweite kommt. Ein zweiter: Konstanz, Regelmäßigkeit und Disziplin beim Training. Und das, stellt sich in den folgenden Wochen heraus, ist die eigentliche Herausforderung. Denn natürlich bringt mein innerer Schweinehund passend zu jeder Einheit die bekannten Argumente vor: Wetter zu schlecht, zu früh, zu spät, einmal Aussetzen ist drin … Dagegen ist aber der feste Trainingsplan eine hilfreiche Waffe.

Läufergewissen

Wo ich sonst wohl eher meine Couchpotato-Fähigkeiten trainiert hätte, appelliert nun die App an Läufergewissen und -ehre. Das hilft. Außerdem ist der Plan, den Michael wöchentlich für mich vorbereitet, für einen „lauffaulen Läufer“ wie mich eine gute Motivation: Eine Struktur, an der ich als nicht mehr blutiger, aber dennoch arg unprofessioneller Anfänger mich orientieren kann. Und er zeigt mir auch, dass Lauftraining eben nicht nur heißt, mal mehr und mal weniger zu laufen, sondern dass es eben doch Unterschiede gibt: schnell, langsam, Intervalle, Crescendo … In der Theorie nichts Neues, aber in der Praxis hatte ich mich darum noch nie groß gekümmert.

Regelmässigkeit ist alles

Nicht immer kann ich freilich dem Schweinehund genug Paroli bieten, vor allem sorgen immer wieder lange Arbeitstage dafür, dass ich das Training schleifen lasse und die App mich vorwurfsvoll erinnern muss: „Einheit nicht durchgeführt“, und auch Coach Michael muss mir mehrmals energisch ins Gewissen reden, dass Regelmäßigkeit gerade in meinem Fall wichtiger ist, als im Ausgleich für verpasste Einheiten an wenigen Tage ein größeres Pensum runterzureißen. Aber was nützt das beste Training, wenn sich dessen Effekte nicht in der Praxis überprüfen lassen?

Praxistest

Und so wollte ich nach ein paar Wochen mal schauen, ob sich denn auch wirklich etwas getan hatte. Ich meldete mich für einen Lauf an, wenn auch – nein, kein Halbmarathon, sondern nur ein einfacher 10K. Der sollte allerdings zumindest schon mal für eine Standortbestimmung reichen. Denn bislang konnte ich mich bei „Zehnern“ eigentlich immer auf einen mehr oder weniger deutlichen Leistungsknick nach etwa zwei Dritteln verlassen. Etwas, was auch Michael Arend bei der Analyse meiner ersten Läufe aufgefallen war und worauf auch der Fokus des Trainings liegen sollte.

Und tatsächlich: Ganz ohne Hänger steht am Ende eine Zeit nur knapp über meiner Bestzeit, und das trotz wenig läuferfreundlichem Wetter. Und: Am Ende habe ich auch das Gefühl, dass ich locker noch ein ganzes Stück dranhängen könnte. Das Training zahlt sich wirklich aus! So was ist natürlich noch einmal ein Extra- Motivationsschub.

Neue Entdeckungen

Zudem bieten meine Trainingsläufe auch noch ganz andere Vorteile: Glaubte ich zuvor immer, dass es ja bei mir in der Nähe ohnehin keine vernünftigen Laufstrecken gebe, wird das kleine Wäldchen um die Ecke nun immer mehr zu meinem Heimatrevier – und auch der Rhein ist gar nicht so weit weg, wie ich bisher immer dachte. Vor allem frühmorgens, wenn die Stadt noch nicht erwacht ist, hat ein Lauf über das Laub oder am Fluss entlang einfach etwas Entspannendes, geradezu Meditatives.

Niemals hätte ich gedacht, dass das für mich einmal ein idealer Start in den Tag sein würde … Am Ende des Ferncoaching-Experiments gibt Michael mir noch einmal die Ermahnung mit auf den Weg: „Bleib dran! Eine Woche das Training schleifen zu lassen macht den Fortschritt von Monaten kaputt.“ Ich verspreche, an meiner Selbstdisziplin zu arbeiten und den Schweinehund ab sofort noch konsequenter in die Schranken zu weisen. Ob das klappt? Nicht immer, sicher. Aber doch immer öfter.

Text: Michael Schulze Roberg

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