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Streak-Running 

Mindestens eine Meile müssen Sie täglich laufen, wenn Sie einen sogenannten Running Streak starten wollen. Das Streak-Running ist aber keinesfalls ein neumodischer Trend. Mittlerweile hat sich das tägliche Laufen als sportliche Herausforderung in der Szene etabliert. Doch nicht allen sind die Auswirkungen dieser Lauf-Challenge bewusst. Wir werfen einen kritischen Blick auf die Vor- und Nachteile des Streak-Runnings.

Egal, ob alt oder jung, auf der Straße oder im Wald – wohin das Auge auch blickt, überall tummeln sich zurzeit Scharen von Läufern. Kein Wunder, schließlich gehört es zu den beliebtesten Neujahrsvorsätzen, mehr Sport zu treiben. Zudem hat die anhaltende Corona-Pandemie einen regelrechten Lauf- Boom entfacht. In Zeiten von geschlossenen Fitnessstudios, Schwimmbädern und Crossfit-Boxen ist das klassische Ausdauertraining populärer denn je. Die Suchanfragen zum Thema „Laufen“ sind seit Ausbruch von Covid-19 deutlich gestiegen.

Anhaltende Serie

Neben den üblichen Fragen, wie man am besten mit dem Joggen anfängt, was dabei beachtet werden muss und welche Vorteile das Laufen für den Körper hat, werden aber auch Antworten auf die Frage gesucht, ob tägliches Laufengehen sinnvoll ist. Die Suchergebnisse dazu sind durchwachsen: Wer „jeden Tag laufen“ bei Google eingibt, findet haufenweise Websites, die das sogenannte Streak-Running erläutern. Der Begriff lässt sich am besten mit „Laufserie“ übersetzen. Beim Streaken geht es also darum, an möglichst vielen aufeinanderfolgenden Tagen laufen zu gehen, um eine möglichst lang anhaltende Serie zu starten.

Die Idee, das tägliche Laufen zur sportlichen Herausforderung zu machen, stammt aus den USA. In Deutschland erfreut sich die Lauf-Challenge insbesondere zum Jahreswechsel einer großen Beliebtheit. So soll die jährliche Januar-Challenge ihre Teilnehmer dazu ermutigen, die Laufschuhe jeden Tag zu schnüren. Die Regeln der United States Running Streak Association (USRSA) sind simpel: Laufe täglich mindestens eine Meile (1,6 Kilometer). Vollkommen unwichtig ist hingegen, wo diese Distanz zurückgelegt wird: auf der Straße, auf einer Laufbahn, auf einem Trail oder auf einem Laufband. Hauptsache, Sie sind jeden Tag unterwegs.

Diese Laufbewegung ist unter Experten jedoch ziemlich umstritten: Einerseits spielt das richtige Verhältnis von Be- und Entlastung für den eigenen Trainingserfolg eine entscheidende Rolle. Andererseits können derartige Challenges auch die Motivation steigern, möglicherweise sogar den eigenen Ehrgeiz wecken.

Die Vorteile eines regelmäßigen Ausdauertrainings

Gewicht reduzieren, Stress abbauen, gesund und fit bleiben – es gibt genügend Gründe, weshalb regelmäßiges Laufen sinnvoll ist. Wiederholtes Ausdauertraining löst Anpassungen in den unterschiedlichen Funktionssystemen des menschlichen Organismus aus. Wer regelmäßig läuft, trainiert sein Herz-Kreislauf-System. Nach jeder Laufeinheit wird der Herzmuskel größer. So können Sie mit einem Herzschlag auch gleichzeitig mehr Blut durch Ihren Körper pumpen. Diese Schlagleistung wird in der Trainingswissenschaft als „Herzminutenvolumen“ definiert. Es gibt an, wie groß die Blutmenge ist, die Ihr Herz in einer Minute pumpen kann.

Ein trainierter Herzmuskel führt zudem sowohl zu einer niedrigeren Ruheherzfrequenz als auch zu einer niedrigeren Belastungsfrequenz beim Ausdauertraining. Während die Herzfrequenz bei untrainierten Leuten also schnell ansteigt, erhöht sich die von trainierten Läufern wesentlich langsamer. Sie werden nach einem kurzen Sprint deshalb nie wieder hechelnd in der Stadtbahn stehen, die Sie um ein Haar verpasst hätten. Aber Laufen stärkt nicht nur das Herz. Ihre Lungen profitieren ebenfalls vom regelmäßigen Ausdauertraining:

Ihr Körper setzt eine andauernde Versorgung mit Sauerstoff voraus. Dabei gilt natürlich: Je schneller Sie laufen, desto mehr Sauerstoff benötigen Sie, um Ihre Muskulatur mit Energie versorgen zu können.

Aus diesem Grund atmen Sie bei schnellen Tempo-Einheiten auch hauptsächlich durch den Mund. Eine kontinuierliche sportliche Belastung optimiert Ihre Atmungsökonomie. Ihre Lungen sind dann in der Lage, mehr Sauerstoff aus einer gleich bleibenden Luftmenge aufzunehmen. Damit Ihr Körper sich jedoch an das Ausdauertraining anpassen kann, benötigt er Zeit, sich von den Trainingseinheiten zu erholen.

Das Prinzip der Superkompensation

Dieser Anpassungsprozess basiert auf dem Prinzip der Superkompensation. Es besagt, dass der Körper nach einem Trainingsreiz nicht nur das alte Leistungsniveau wiederherstellt, sondern die Leistungsfähigkeit im Verlauf der Regeneration über das ursprüngliche Niveau hinaus steigert und über einen bestimmten Zeitraum auf diesem Level hält. Werfen wir einen genaueren Blick auf dieses Prinzip: Als Läufer verrichten Sie Muskelarbeit. Das Herz pumpt schneller, damit Ihre Muskulatur mit ausreichend Blut versorgt wird.

Die körpereigenen Zellkraftwerke – die Mitochondrien – arbeiten auf Hochtouren, um genügend Energie zu produzieren. Und Ihr Bewegungsapparat gibt Vollgas, damit Sie während Ihrer Laufrunde nicht erschöpft aufgeben müssen. Hierbei entstehen kleine Haarrisse und Mikrotraumen in Ihrer Muskulatur, die Ihr Körper reparieren muss, ehe er einen neuen Trainingsreiz verarbeiten kann. Doch statt den Ursprungszustand der Muskeln in wiederherzustellen, setzt Ihr Körper den Bewegungsapparat in besserer Qualität instand. In weiser Voraussicht: So sind Sie ideal für intensivere Trainingsbelastungen vorbereitet. Systematisch geplante Regenerationstage gehören deshalb ebenso in einen Trainingsplan wie längere Läufe und Tempo-Einheiten.

Die Gefahr des Streak-Runnings

Für den eigenen Trainingserfolg ist das Streak-Running deshalb pures Gift. Denn es missachtet das Prinzip der optimalen Gestaltung von Belastung und Erholung und hemmt somit wichtige Anpassungsprozesse. Ohne ausreichend Regeneration wird es Ihnen schwerfallen, die eigene Leistung konstant zu steigern. Darüber hinaus schwächen Sie durch Dauerbelastungen Ihr Immunsystem. Schließlich läuft es auf Hochtouren, um die beim Laufen entstandenen Schäden zu reparieren. Jeder Tag, der Ihren Streak verlängert, bedeutet zusätzlichen Stress für Ihren Körper. Als Reaktion auf diese dauerhafte Anspannung steigt der Cortisol-Spiegel in Ihrem Blut.

Das körpereigene Stresshormon zeichnet nicht nur für Heißhunger- Attacken verantwortlich, sondern führt auch dazu, dass Sie wesentlich anfälliger für Krankheitserreger sind. Insbesondere ambitionierte Läufer sollten das Streak- Running kritisch betrachten. Die Grundlage für eine bevorstehende Laufsaison werden bekannterweise im Winter gelegt. Das Training fokussiert sich hier auf langsame Dauerläufe. Aufgrund der niedrigen Temperaturen und der oftmals verschneiten oder gefrorenen Straßen verzichten viele Läufer auf das Tempotraining während der dunklen Jahreszeit.

Sollten Sie trotz allem an einer Streak-Running-Challenge teilnehmen und täglich laufen, riskieren Sie zweierlei: Zum Einen bleibt eine gute Leistungsentwicklung ohne das richtige Maß von Regeneration aus. Das gefährdet Ihre Zielsetzung für den weiteren Saisonverlauf. Zum Anderen riskieren Sie eine mentale Erschöpfung. Denn wer schon zu Beginn des Jahres täglich läuft, ist des Lauftrainings im Frühjahr möglicherweise schon überdrüssig.

Die höchste Gefahr beim sogenannten Streaken liegt aber in der Überlastung des gesamten Bewegungsapparats. In der Regel muss der eigene Körper über mehrere Jahre hinweg an die regelmäßige Laufbelastung gewöhnt werden. Werden die Laufumfänge aber schlagartig erhöht, quittieren entzündete Achillessehnen, überlastete Knie oder zwickende Waden dann schnell mal ihren Dienst. Und im Leben eines Läufers gibt es nichts Schlimmeres, als sich mit einer unnötigen Verletzungen plagen zu müssen.

In Maßen zu genießen

Allerdings hat das tägliche Laufen nicht nur Schattenseiten. Eine sportliche Herausforderung wie das Streak- Running kann insbesondere Laufanfänger dazu motivieren, die Laufschuhe regelmäßig zu schnüren und sich langfristig vom Laufsport zu überzeugen. Für alte Laufhasen hingegen kann das sogenannte Streaken eine willkommene Abwechslung in der wettkampffreien Zeit sein. Für das Streak-Running sollten Sie aber unbedingt Ihre eigenen Spielregeln festlegen.

Zwar gibt die United States Running Streak Association (USRSA) klare Richtlinien vor, die aber weit über den durchaus laufverrückten Verstand hinausschießen: Denn egal ob Schlechtwetter, Verletzungen, Krankheiten oder andere Lebensumstände – nichts sollte einen Streak-Runner davon abhalten, täglich laufen zu gehen. Tun Sie sich selbst den Gefallen und verfallen Sie nicht der typisch amerikanischen Höher-weiter-schneller- Mentalität, sondern genießen Sie das tägliche Laufen, solange es Ihnen und Ihrem Körper wohltut.

Entwickeln Sie bitte keinen falschen Ehrgeiz, sich selbst etwas beweisen oder gar den Streak-Running-Rekord brechen zu wollen! Den hält nämlich der Brite Ron Hill, der sich nach 52 Jahren und 39 Tagen aus gesundheitlichen Gründen seine wohlverdiente Laufpause gegönnt hat.

Text Robin Siegert

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