Wenn die Füße nicht mehr tragen
Fußbeschwerden und -verletzungen gehören leider zur Realität des Laufsports. Was kann man tun, wenn einen die Füße nicht mehr tragen wollen? Wir haben mit dem aktivLaufen-Experten Dr. Markus Klingenberg gesprochen.
Mit welchen Problemen kommen Läufer zu dir?
Die sportorthopädischen Beschwerden betreffen bei Läufern in der Regel die untere Extremität und den unteren Rücken. Unterschieden werden müssen akute Beschwerden und chronische Beschwerden. Die typischen akuten Beschwerden sind Umknickverletzungen des Sprunggelenks und Verdrehverletzungen des Kniegelenks. Chronische Beschwerden sind in erster Linie Gelenkschmerzen des Kniegelenks, Sprunggelenks und Hüftgelenks und Überlastungen der Sehnen.
Was sind typische Fußverletzungen bei Läufern?
Akut sind es Bandverletzungen am oberen Sprunggelenk, Risse der Achillessehne und Brüche des Knöchels sowie des fünften Mittelfußknochens. Chronisch sind es Überlastungen der Sehnen und Überlastungssyndrome der Knochen, vor allem schmerzhafte Knochenmarködeme, die zu Fußbeschwerden führen.
Läufer ignorieren Schmerzen häufig. Ab wann sollte jemand mit Fußbeschwerden einen Arzt aufsuchen?
Ein neues Paar Laufschuhe, eine neue Strecke oder fehlende Regeneration können dazu führen, dass Muskulatur und Sehnen nach einem Training überlastetet sind und schmerzen. Binnen weniger Tage sollten sich diese Beschwerden wieder von alleine geben. Bei akuten Verletzungen stellt sich ein Läufer meistens von alleine kurzfristig bei mir vor, da der Auslöser klar erkennbar ist. Bei chronischen Beschwerden, vor allem wenn sie erst im Laufe des Trainings auftreten, wird aus orthopädischer Sicht oftmals zu lange gewartet.
Schmerz verändert unsere Bewegungsabläufe, ob wir das wollen oder nicht. Wiederholtes Training mit Schmerzen sollte also vermeiden werden, um Kompensationsbewegungen zu vermeiden. Was der Sportler definitiv nicht machen sollte, ist Schmerzmittel einzunehmen, um laufen gehen zu können.
Was sind die Ursachen für die häufigsten Verletzungen oder Beschwerden?
Die meisten Überlastungsbeschwerden beruhen auf Defiziten in den Bereichen Mobilität, Stabilität und im Bereich der neuromuskulären Ansteuerung. Die „Big Five“ der Defizite umfassen eine Schwäche der Fußmuskulatur, eine endgradig eingeschränkte Beweglichkeit des oberen Sprunggelenks, eine verminderte aktive Beweglichkeit der Oberschenkelrückseite, eine reduzierte Beweglichkeit des Hüftgelenks in Innenrotation und eine defizitäre Stabilität der Hüftmuskulatur. Diese Defizite verbessern sich nicht automatisch, nur weil der Sportler mehr läuft.
Vernachlässigen Läufer deiner Meinung nach das Training der Fußmuskulatur?
Die Antwort ist ein klares „Ja“.
Warum machen viele Läufer kein gezieltes Fußmuskeltraining?
Die Antwort ist die gleiche wie auf die Frage, warum sich Läufer häufig wenig Zeit für eine ausreichende Dehnung, eine Laufschule zum Techniktraining und einen Ausgleich der eben erwähnten Defizite nehmen. Sie wissen es nicht besser, ihnen fehlen die Tipps zur einfachen praktischen Umsetzung, oder sie meinen, keine Zeit dafür und es nicht nötig zu haben. Bevor du das erste Mal Tauchen gehst, machst du selbstverständlich einen Kurs und eine medizinische Tauchtauglichkeitsuntersuchung. Beim Laufen erscheint das vielen Läufern übertrieben. In unserer sitzenden Gesellschaft müssen viele Menschen im Grunde genommen erst wieder fit werden, um richtig laufen zu können, um Fehlbelastungen zu vermeiden.
Können Fußprobleme auch auf andere Körperregionen ausstrahlen? Wenn ja, auf welche?
Auch hier ist die Antwort ein klares „Ja“. Im Sinne einer aufsteigenden Ursache-Folge- Kette oder interregionalen Abhängigkeit treten Beschwerden weiter oben in der Bewegungskette auf. Ein klassisches Beispiel ist eine sehr häufige Knick-Senk-Fuß-Fehlstellung bei unzureichender Kraft der Fußmuskulatur. Im Stand und beim Laufen knickt das Sprunggelenk nach innen, da das Fußlängsgewölbe zu flach ist. Infolgedessen dreht sich der Fuß beim Laufen auch etwas nach außen, und es entsteht eine leichte Verdrehung im Kniegelenk mit Stress auf der Innenseite des Kniegelenks und einer beginnenden X-Beinstellung.
Letztlich setzt sich dieser Stress weiter nach oben fort und erreicht über die Hüfte die Wirbelsäule. Mögliche Beschwerden, mit denen der Sportler sich in der Sprechstunde vorstellt, sind neben Schmerzen im Fuß oder im Sprunggelenk Reizungen der Achillessehne, des Innenbandes oder Innenmeniskus am Kniegelenk, positive Triggerpunkte der Muskulatur in Unter- oder Oberschenkel und nicht zuletzt Hüft- und Rückenbeschwerden. Mit einem Screening des wichtigsten Bewegungsmusters und einer gezielten lokalen Untersuchung kommt man diesen Verkettungen zügig auf die Spur.
Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?
Bei Überlastungsbeschwerden geht es im ersten Schritt darum, zunächst die lokale Reizung zu behandeln und in einem zweiten Schritt die auslösende Ursache durch ein gezieltes funktionelles Training zu beheben. Viele therapeutische Maßnahmen kann der Sportler selbst durchführen: funktionelles Training, Dehnung, Faszientraining, Kälteanwendung, Flossing, Taping, einfache Triggerpunktbehandlung. Der Therapeut oder Arzt setzt Injektionen, Manuelle Therapie, Stoßwellentherapie, TENS, Akupunktur und Magnetfeldtherapie ein. Bei Knochenbrüchen und höhergradigen Sehnenverletzungen wird in der Regel operiert. In meinem Buch „Return to Sport – Funktionelles Training nach Sportverletzungen“ erfahren Sportler und Trainer, welche therapeutischen Verfahren bei welchen Krankheitsbildern Sinn machen und was ein Sportler wieder können sollte, um sicher wieder mit dem Laufsport zu beginnen.
Sind orthopädische Einlagen sinnvoll?
Unter Umständen ja. Wenn möglich, bevorzuge ich, dass der Sportler bei Defiziten seine Fußmuskulatur alleine oder mit Hilfe eines Therapeuten auftrainiert. Dann kann er vorübergehend Einlagen tragen. Ab einem gewissen Grad der Schädigung ist eine vollständige Wiederherstellung der regelrechten Fußstellung über Training alleine unrealistisch, vor allem wenn die Sehnen nicht mehr elastisch genug sind oder Knorpelschädigungen vorliegen.
Wie stehst du zum Barfußlaufen? Sinnvolle Trainingsergänzung oder gefährlich?
Die wesentliche Voraussetzung für Barfußlaufen oder das Laufen mit „Barfußschuhen“ ist eine ausreichend gut ausgeprägte Fußmuskulatur, damit es nicht zu Kompensationsbewegungen beim Laufen kommt. Zu Beginn eines Barfußtrainings sollten die Laufdistanzen relativ kurz sein und der Untergrund möglichst weich. Dann kann Schritt für Schritt die Distanz vergrößert werden.
Was sind einfache Übungen, die jeder in seine Trainingsroutine einbauen kann? Wie häufig sollte man seine Füße trainieren?
Ein pauschale Antwort zur optimalen Häufigkeit eines Fußmuskeltrainings kann ich dir nicht geben. Das ist stark abhängig vom Ausgangszustand der Mobilität und Stabilität der Muskulatur. Es kann auch mit täglichem Training durchaus ein paar Monate dauern, bis sich beispielsweise die Fußstellung bei einem Knick-Senk-Fuß ausgeglichen hat.
MARKUS KLINGENBERG
Wohnort: Bonn
Beruf: Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie
www.markusklingenberg.de