Fuchsgruber
Foto: caoxijia

Fuchsgruber: In die Wüste, gelassen! – Teil 1

Sie sind zusammen 100 Jahre alt und vor kurzem 1.000 Kilometer gemeinsam durch die afrikanische Wüste gelaufen. Das Paar Fuchsgruber scheint die Grenzen des sportlich Vorstellbaren zu sprengen. Wie solche Ultraläufer ticken, warum sie so ticken und wie man Job, Familie und zeitfressendes Training vereint, haben wir im Gespräch mit den beiden herausgefunden.

„Beim Ultralauf kommt es zu 80 Prozent auf die Physis an und zu 50 auf die Psyche!“ Mit diesem eher metaphorischen als mathematischen Rechen-Exempel fasst Ultraläufer und Wüstenbezwinger Rafael Fuchsgruber anschaulich zusammen, was ihn letztendlich so erfolgreich gemacht hat. In der überschaubaren Community von Sportlern, die Strecken und Etappenläufe weit jenseits der Marathon-Distanz bezwingen, seien die Besten physisch alle ziemlich auf dem gleichen Level, sagt der 60-Jährige. Gute körperliche Vorbereitung und Verfassung seien die absolute Grundvoraussetzung für einen Ultralauf, ergänzt er.

Am Ende die entscheidenden Sekunden, Minuten oder Kilometer weiter vorne, seien jedoch die smarten Läufer, die cleveren und erfahrenen Sportler. Und vor allem diejenigen, die sich nicht den negativen Einflüssen und Gedanken während so eines langen, langen Laufes hingeben. Irgendwas sei doch eh immer, da dürfe man sich einfach nichts draus machen, so die „Basislehre“ des selbstständigen Eventmanagers. Spinnt man das Zahlenbeispiel von oben weiter, hieße das: Nur mit diesem Plus an mentaler Klarheit und Härte kann man eben über die 100 Prozent hinausgehen und so ähnlich fitte Kontrahenten deutlich schlagen.

Fuchsgruber – aus dem Tal herauslaufen

Seine unfassbar gelassene Ausstrahlung wird bei unserem Gespräch auf dem gemeinsamen kleinen Bauernhof wortwörtlich gespiegelt von seiner sowohl Lebens- als auch Laufpartnerin. Tanja ist 20 Jahre jünger und hat noch eher die Hummeln im Hintern, zumal sie ihre Laufkarriere auch erst vor ein paar Jahren gestartet hat. Wie ihr Partner hat auch sie das Laufen genutzt, um sich aus einem Tief herauszuziehen. Als junge, ehrgeizige Finanzberaterin hatte sie sich einiges an Übergewicht angefuttert, war völlig unzufrieden mit sich und entschied zu handeln. 30 Kilo später traf sie Rafael, wie sollte es anders sein, bei einem Langstreckenlauf. Der hatte da schon eine ganze Weile aus seiner Lebenskrise herausgefunden, die hatte ihn allerdings nicht nur belastet, sondern fast getötet.

Fuchsgruber war Alkoholiker. Er betont selbst, dass man dieses Damoklesschwert ja nie final loswird. Man möchte vermuten, dass die Arbeit als Discjockey und das Umfeld der Konzert- und Eventbranche ihn zum Trinken verführt hat, aber Fuchsgruber gibt niemand anderem die Schuld als sich selbst, nicht mal seinem in der Beziehung schlechten, väterlichen Vorbild. Dinge, die er wirklich mag, ziehe er mit aller Inbrunst durch, alles andere dafür mit weit weniger Leidenschaft. Die Leidenschaft zu Zigaretten und Alkohol führten ihn mit knapp 40 in eine Notaufnahme. Das hektische Treiben von Ärzten und Schwestern um ihn habe zwar akut die Angst zu sterben genommen, aber auch den Ernst der Lage sehr deutlich veranschaulicht. Die Zeit bis zur endgültigen Diagnose, schwere Herzmuskelentzündung, brachte dann wohl eine Art Epiphanie, eine gedankliche Kehrtwende. Die Sucht hatte ihn vereinnahmt, geknebelt, wie er sagt, der Arzt habe ihm die medizinisch orange Karte gezeigt.

Und genauso konsequent wie später das Lauf-Training ging Fuchsgruber auch die Abkehr vom Alkohol an. Radikaler, kalter Entzug unter eigener Anleitung. Wenn er von den drei ersten Tagen dieser Zeit berichtet, spürt man, mit welchem Respekt er der Sucht jetzt noch begegnet. Kaum Schlaf, Schmerzen, Bewusstseinstrübungen, nassgeschwitzte Bettlaken, Visionen von Musik oder Klängen galt es auszuhalten. Vielleicht waren diese Tage sowas wie die Geburt des „Mind-Biests“ Fuchsgruber.

Step by Step by Step

Das Laufen kam gar nicht therapeutisch dazu, sondern diente dazu überschüssige Energie abzubauen. Herzmuskelentzündungen zwingen zu monatelanger, völliger Ruhe, da staut sich die Rastlosigkeit mit der Zeit an. Ganze drei Kilometer betrug das erste Training, sogar mit einem Freund als „Hasen“ neben sich. Heute bewältigt der erfolgreichste Ultraläufer Deutschlands für Wüstenwettbewerbe bis zum Neunzigfachen, damals nicht ansatzweise für ihn vorstellbar. Man hört und liest ja oft, dass Menschen, die durch eine extrem schmerzhafte Krankheit oder Reha gegangen sind oder von Kriegsveteranen, dass sie eine um vieles höhere Abbruchschwelle besitzen. Die „Leidensgrenze“ gilt als verschoben, dabei haben diese Protagonisten wohl einfach einen besseren Weg gefunden, mit den Leiden umzugehen. Genau das scheint auch früh im Kopf des Konzertveranstalters passiert zu sein.

Den ersten Marathon lief er in der Nachbetrachtung viel zu früh und viel zu schnell. Fuchsgruber finishte nach über fünf Stunden, wobei der Marathon-Debütant hierbei schon an seine absolute Grenze ging. Nicht, weil er die Schmerzen möge, sondern weil er das Laufen so liebe, und was man so gern mache, das soll einfach am Liebsten nicht aufhören! Mit dieser neuen Liebe, und er nennt das Laufen wörtlich so, aber noch eher durchschnittlicher Fitness sollte es dann zu einer folgenschweren Begegnung kommen: Der damals 43-Jährige sah das Wüstenrennen „Marathon des Sables“, ein epischer Lauf über sechs Etappen in einer Woche und um die 240 Kilometer durch die marokkanische Wüste. Die Kombi aus Laufen und der Weite der Wüste versetzte den Laufneuling in Ekstase. Die Läufer waren und sind für ihn seine Helden.

Die Fuchsgruber-Attitüde

Der anfänglich riesige Respekt und das Nichtvertrauen in die eigene Stärke wich nach und nach der Fuchsgruber’schen „Ich will das unbedingt, dann mach ich das!“-Attitüde. Ein Wüstenmarathon über die klassische Distanz als Testballon war nötig, um ein „… und ich kann das auch schaffen!“ hinzuzufügen. Aber warum ausgerechnet die Wüste? Das ist neben dem klassischen „Tut das nicht weh?“ die zweithäufigste Frage in Talkshows und Podiumsdiskussionen an ihn. Hier sind sich der Altmeister und seine Partnerin Tanja mal komplett einig: Die Weite beflügele die Gedanken, sie sei abwechslungsreich, ohne zu viel Aufmerksamkeit zu verlangen, die Wüste biete einfach die größtmögliche Freiheit, auch gedanklich.

Wie die beiden jeweils mit dieser Fokussierung rein auf sich selbst verfahren, ist wieder völlig unterschiedlich. „Sie redet gerne,“, platzt es ein bisschen aus dem Eventmanager raus. In Sachen Laufen wirkt das junge Glück etwas wie Guru und Schülerin, als Paar begegnen sie sich derart auf Augenhöhe, dass solche kleinen Spitzen offenbar nicht zu Nächten auf der Couch führen. Sie braucht ihn übrigens gar nicht unbedingt zum Zwiegespräch, die Bankerin rede auch gerne mit sich selbst. Je länger so ein Rennen dauert, desto weniger sei sie auf dessen Verlauf konzentriert. Tanja sagt selbst, man werde im Kopf zu einer Maschine.

Er wiederum taucht früher und tiefer in eine fast meditative Gedankenwelt ab. Legendär die Geschichte vom einzigen Baum auf der Strecke durch die Wüste Gobi: Fuchsgruber muss daran vorbeigelaufen sein, konnte sich aber kein Stück an diese einzigartige Landmarke erinnern. Bei einem TV-Auftritt verrät er, diese tiefe Läufer-Trance habe auch schon dazu geführt, dass er Abzweige oder Wegweiser übersehen habe. Was unsereins wohl zu selbstzerstörerischen Schimpftiraden, Verzweiflung und Wutausbrüchen verleiten würde, kontert der erfahrene Langstreckler derart Fragen mit: „Ich bin halt zurückgelaufen, was soll ich mich aufregen?“. Diesbezüglich hat seine 40-jährige Schülerin schon viel aufgesogen. Die endgradige Gelassenheit mag sie noch nicht erreicht haben, aber was Krisenbewältigung angeht, ist sie nah dran am Laufpartner. Das hat sie unjüngst bewiesen! (Text: Timo Dillenberger)

Kleiner Tipp: Weitere Texte zum Thema findest du in unserer Rubrik Reportagen.

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