Brinkman
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Nienke Brinkman – Vom Mars zum Marathon

Niederländischer Marathon-Rekord, Teil des erstklassigen NN-Running-Teams, Bronze bei der EM 2022 in München und die Olympischen Spiele 2024 in Paris fest im Blick. Was sich liest wie das Lebenswerk einer Profiläuferin, sind lediglich die Erfolge der letzten zwei Jahre von Ausnahmetalent Nienke Brinkman.

Dass es nie zu spät ist, ein neues Hobby zu beginnen oder einem Talent nachzugehen, beweist die 28-jährige Nienke Brinkman. In Indonesien geboren und in Leiderdorp bei Den Haag aufgewachsen, beginnt sie 2019 an der ETH in Zürich, ihre Doktorarbeit in Geophysik über seismologische Veränderungen auf dem Mars zu schreiben. Im Winter des gleichen Jahres schließt sie sich der Laufgruppe des Studentenverbandes ASVZ an. Nicht ihre erste Wahl. Seit jeher ist die junge Frau in der zweithöchsten Landhockey-Liga der Niederlande aktiv. Sie spielt für Alecto in Leidendorp und HBS in Blomendaal. Ihr Versuch, im Frauenteam des Grasshopper Clubs Zürich ihr Bedürfnis nach Bewegung und Sport zu stillen, bleibt aus. Zu nischig und nicht ausreichend herausfordernd ist der niederländische Nationalsport in der neuen Schweizer Heimat.

Ungewöhnlicher Weg

Zwar ist Brinkman schnell die beste Frau der Laufgruppe und trainiert auch immer häufiger mit ihren männlichen Teamkollegen, aber erst mit der Corona-Pandemie kommt es zur entscheidenden Veränderung. Mit Beginn des Lockdowns im Frühjahr 2020 fallen immer mehr universitäre Veranstaltungen aus. Auch sonst reduzieren sich die Möglichkeiten für Sport und Freizeitaktivitäten drastisch. Die unverhofft freie Zeit nutzt die damalige Hobbyläuferin, um sich intensiver ihrer neuen Leidenschaft zu widmen. Sie setzt sich erstmals ein konkretes Ziel: den Amsterdam Marathon im Oktober. Die Veranstaltung fällt pandemiebedingt jedoch aus. Trotzdem absolviert Brinkman die 42,195 Kilometer auf einer Runde am Zürcher Seebecken in einer Zeit von 2:43:58 und einen Monat später mit 2:39:43 Stunden. Eine herausragende Zeit für eine Amateurläuferin ohne Coach und ohne Trainingsplan.

Brinkman schreibt dem schweizerischen Triathleten Benjamin Ueltschi und fragt nach Tipps. Er bringt professionelle Struktur in ihre Laufeinheiten und erstellt bis heute ihre Trainingspläne. Im Frühjahr 2021 scheitert erneut die Teilnahme an einem ersten offiziellen Marathon, dieses Mal verletzungsbedingt. Aus dem gleichen Grund platzt auch der Traum von Olympia 2020 in Tokyo, für die sich die Niederländerin hat qualifizieren wollen.

Steiler Karrierestart von Brinkman

Doch aufgeben ist keine Option. Brinkman startet ihren nächsten Versuch beim Zermatt Marathon im Juli 2021. Für den alpinen Trailrun, der als einer der anspruchsvollsten Strecken Europas gilt, trainiert sie nun an den Wochenenden in den Bergen. Sie gewinnt das Rennen mit einem Streckenrekord von 3:19:42 Stunden. Trailrunning wird zu ihrer Leidenschaft, ebenso lange Läufe von bis zu vier Stunden. Die Niederländerin schätzt die andere Art von Bewegung, die ungepflasterten und unbekannten Strecken stärken ihren Körper und Geist. Es folgen weitere High-Peak-Rennen mit Distanzen von 31, 43, 21 und 37 Kilometern. Unter anderem wird sie Zweite beim renommierten „Sierre-Zinal“ der Golden Trail World Series mit 2.200 Meter Anstieg und 1.100 Meter Abstieg. Die Startnummer erhielt sie übrigens vom Veranstalter, nachdem Brinkman den Geschäftsführer beim Lauf in Zermatt überholt hatte. Ein überraschendes Ausnahmetalent

Brinkman beschreibt ihre Familie eher als kompetitiv und weniger als sportlich. Hockey spielt sie stets mit Begeisterung. Für den großen Erfolg jedoch nicht gut genug. Sie scherzt gerne, dass sie es liebt, auf dem Hockeyfeld zu rennen, ihr aber wohl der Schläger stets im Weg ist. Quereinsteiger aus anderen Sportarten, die in einer neuen Disziplin herausragendes erreichen, gibt es immer wieder. Der slowenische Skispringer Primoz Roglic und der belgische Fußballer Remco Evenepoel überzeugen auch im Radsport durch fantastische Leistungen. Ein spätes Ausnahmetalent im Laufen zu entdecken, ist jedoch eher ungewöhnlich. Die hohe Belastung für Knochen und Sehnen halten Neulinge häufig nicht dauerhaft aus.

Brinkman steigert Trainingsvolumen

Die Niederländerin kann ihr Trainingsvolumen ohne schwerwiegende Verletzungen kontinuierlich steigern. Nach einem nur fünfwöchigen Trainingsblock und viel Überredungskunst wird Brinkman zum Valencia-Marathon im Dezember 2021 eingeladen. Mit 2:26:43 Stunden läuft die 28-Jährige in Spanien die drittschnellste Zeit, die eine Niederländerin je gelaufen ist. Nur die Elite um Lornah Kiplagat und Hilda Kibet toppen ihre Leistung. Der Lauf wird ihr Sprungbrett: Brinkman avanciert von einer talentierten Amateurläuferin zur anerkannten Weltklasse-Sportlerin. Nun kennt auch der niederländische Nationaltrainer ihren Namen, der zuvor noch nichts von dem heimlichen Ausnahmetalent gehört hatte.

Sie wird Teil des NN-Running-Teams und somit Mannschaftskameradin von Größen wie Eliud Kipchoge, Geoffrey Kamworor, Kenenisa Bekele and Joshua Cheptegei. Von den sieben Frauen des Laufteams ist sie die einzige Europäerin. Drei Monate trainiert sie gezielt – bis zu 180 Kilometer pro Woche. Unter anderem verbringt sie vier Wochen im Lauf-Camp im kenianischen Iten.

Landesrekord für Brinkman

Die nächste Sensation folgt beim Rotterdam Marathon im April 2022. Angefeuert von Familien, Freunden und der begeisterten Zuschauermenge läuft sie als Zweite ins Ziel und mit 2:22:51 Stunden neuen niederländischen Straßenmarathon-Rekord. Damit ist sie nun auch schneller als ihre Landsfrauen Lornah Kiplagat und Hilda Kibet.

Ihre Preisgelder nutzt Brinkman, um sich mehr auf ihr Training fokussieren zu können. An der Universität reduziert sie ihre Tätigkeit auf 60 Prozent und sieht sich nun endlich auch selbst nicht mehr nur als talentierte Hobbysportlerin, sondern als Laufprofi mit überragendem Potenzial. Trotz ihrer Erfolge ist sie sich mit gerade zwei Jahren Erfahrung darüber bewusst, dass vor allem Technik und Ernährung noch einiges an Entwicklungspotenzial für sie bereithalten. Ihre Laufart beschreibt sie als nicht ausbalanciert und sieht Verbesserungsbedarf.

Führungswechsel

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Dass bei ihr alles etwas anders läuft, zeigt ihre weitere Saisonplanung. Auf Rotterdam folgt im Mai der Start beim traditionsreichen Bergmarathon im spanischen Zegama, der seit 2019 zur Skyrunner World Series zählt. Die anspruchsvolle Route geht über die vier höchsten Gipfel des Baskenlandes mit 2.736 Höhenmetern. Ab dem 10. Kilometer läuft Brinkman allein und gewinnt mit Streckenrekord. Mit 4:16:43 Stunden liegt das Ausnahmetalent über 11 Minuten unter der bisherigen Bestleistung und ist 9 Minuten schneller als die Zweitplatzierte Maude Mathys, die mit ihrer Finisher-Zeit ebenfalls unter der alten Bestzeit geblieben ist. Während Mathys früher die Rennen der Golden Trail Series dominierte, setzt Brinkman nun neue Maßstäbe. Bereits beim Sierre-Zinal Rennen erreichte sie nur zwei Minuten nach der erfahrenen Trailrunnerin Maude Mathys das Ziel. Allerdings behauptet Brinkmans ärgste Konkurrentin, mit einer Sehnenentzündung gestartet zu sein. Ob die Wettkämpfe zukünftig also in einem Kopf-an-Kopf-Finish entschieden werden oder ob die Sehnenprobleme lediglich als Ausrede für eine „Niederlage“ erwähnt worden sind, bleibt abzuwarten. Es wird spannend, wenn beide Läuferinnen topfit an der Startlinie der kommenden Golden-Trail-Wettkämpfe stehen.

Brinkmann ist ein Multi-Talent

Trail und Straße – eine unkonventionelle Mischung für Profis. Denn in der Regel fokussieren sich Elite-Läufer auf zwei Saison-Highlights, die entweder auf der Straße oder eben auf den Trails gelaufen werden. Höhenmeter, der Wechsel zwischen Gehen und Laufen, der Anspruch an Körper und Geist auf kaum vergleichbaren Distanzen beim Trail-Running und ein differenziertes Laufverhalten stehen im Gegensatz zu offiziellen Straßenwettkämpfen, die sich zwar durch schnelle Strecken auszeichnen, an Monotonie jedoch kaum zu übertreffen sind.

Diese spannenden Widersprüche hat die Niederländerin fast nebenbei in ihre Trainingsroutine integriert. Ihr Basistraining ist immer gleich. Auch wenn ein Straßenrennen ansteht, läuft sie weiterhin ihre Trails und vice versa. Sie bleibt in beiden Disziplinen fit und fokussiert. Sie setzt lediglich zum Ende einer Session gezielt Akzente für das jeweils anstehende Rennen.

Erfolgreich für die Niederlande

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Wie erfolgreich Brinkman zwischen Bergläufen und schnellen Straßenrennen wechseln kann, zeigt sie im August 2022. Zum ersten Mal vertritt die 28-Jährige die Niederlande bei einem offiziellen Wettbewerb. Bei der Leichtathletik-EM in München gewinnt sie mit einer Zeit von 2:28:52 Bronze. Sie ist damit die erste niederländische Frau, die bei einer Europameisterschaft eine Marathon-Medaille erläuft. Für ihre unglaublichen Erfolge dankt sie neben Familien, Freunden und Fans auch immer Benjamin Ueltschi. Seit Beginn ist er ihr Trainer, Berater und mittlerweile ein guter Freund.

Trotz aller sportlichen Erfolge möchte Brinkman planmäßig ihr Studium Ende des Jahres abschließen. Ihr großes Ziel sind die Olympischen Spiele 2024 in Paris. Es wundert niemanden mehr, wenn das Ausnahmetalent davor noch mit weiteren Bestleistungen überrascht. Denn eines ist sicher: Brinkman wird die Laufwelt auch zukünftig aufmischen.

Kleiner Tipp: Weitere Texte zum Thema Training findest du in hier.

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