Bilder: Getty Images, Salomon

Weißer Riese

Der Marathon du Mont Blanc zählt zu den großen Klassikern in der Laufszene. Wer davon träumt, mit den großen Trailläufern dieses Planeten gemeinsam an der Startlinie zu stehen und anspruchsvolle Trails in beeindruckender Landschaft zu erleben, der ist in Chamonix genau an der richtigen Stelle.

Kilian Jornet ist ein absoluter Superstar. Zwar ist er, zumindest im herkömmlichen Sinne, nicht mit einem Popstar zu vergleichen. Aber was sich am Wochenende des Marathon du Mont Blanc in der altehrwürdigen, malerisch in den französischen Alpen gelegenen Stadt Chamonix, rund um den Doppel-Everest-Bezwinger und Trailläufer abspielt, ist eigentlich nicht mit Worten zu beschreiben. Es zu erleben jedoch absolut beeindruckend. Doch der Reihe nach.

Chillen mit den Trail-Stars

Ich treffe Kilian am Abend vor dem Start des Marathons in einem der Häuser in Chamonix, in denen viele der Athleten untergebracht sind. Die Atmosphäre hat etwas Familiäres, es wirkt wie eine Sportler-WG. In einem kleinen Garten sitzen oder liegen die Läufer und besprechen mit ihren Betreuern und Ausrüstern Details und Taktiken des am nächsten Morgen anstehenden Rennens. In einer Ecke des Gartens stehen zwei Zelte. Wieder andere Athleten und Hausbewohner kochen gemeinsam in der Küche. Auf insgesamt drei Häuser verteilen sich die Mitglieder des Salomon-Teams. Häuser ohne viel Schnickschnack, spartanisch, aber gemütlich eingerichtet – eine vom Ausrüster bewusst gewählte Unterbringung: raus aus der Stadt, die Stars der Trailszene ein wenig abschotten, Teamspirit fördern. Die Gespräche zwischen den einzelnen Athleten werden immer wieder von einem Lachen unterbrochen. Die Stimmung ist fokussiert, jedoch entspannt, fast schon locker. Nach dem Abendessen findet das Briefing für das Rennen statt. Ich darf teilnehmen, setze mich an den langen Esstisch und lausche gespannt den Ausführungen.

Beim Rausgehen erhasche ich noch einen Blick auf ein paar Bergstiefel. „Mit diesen Stiefeln war Kilian gestern noch auf dem Mont Blanc und davor auf dem Mount Everest“, erklärt mir einer der Hausbewohner, als er meinen Blick auf die mit einer gelben Hülle geschützten Stiefel bemerkt. „Wie cool ist das denn?“, denke ich mir insgeheim und grinse. Das ist dann wohl mal eine spezielle Form des Taperns, beziehungsweise Anschwitzens, vor einem der strapaziösesten Marathonläufe im Wettkampfzirkus: mal eben auf den höchsten Berg Europas. Gut, die Form scheint bei Herrn Jornet jedenfalls zu stimmen. Dass diese Stiefel auch auf dem höchsten Punkt der Erde unterwegs waren, darüber sinniere ich auf dem Weg zurück in meine Unterkunft.

FASZINIERENDE BERGWELT

Der nächste Morgen bringt das ersehnte gute Wetter. Ganz im Gegensatz zum letzten Jahr, als es wie aus Eimern goss. Wie bei jedem Marathon gilt auch in Chamonix: Der frühe Vogel läuft die Rennen. Ich bin mit einer Gruppe Journalisten verabredet. Wir werden den Marathon vom Start in Chamonix durch das wunderschöne Tal in Richtung Vallorcine begleiten, zwischendurch an ein, zwei Wegpunkten auf das Feld warten und so einen Überblick über die Rennsituation erlangen. Dann den Weg zurück Richtung Ziel in Planpraz antreten bzw. fahren, denn wir sind mit einem Minibus unterwegs.

Auf meinem Weg Richtung Abfahrtspunkt treffe ich auf viele sich warm machende Läufer. Eine leichte Nervosität hat sich seit gestern Abend über die kleine Stadt unterhalb des erhabenen Mont Blancs gelegt. Diese Anspannung, die die meisten Läufer vor einem Rennen heimsucht, eine Mischung aus Vorfreude und Ungewissheit, hat sich an diesem Rennwochenende von Freitag bis zu diesem Sonntagmorgen durchgezogen. Verschiedene Rennen verteilten sich über die letzten drei Tage. So erlebte ich bei meiner Anreise freitags ein beeindruckendes Vertical Race. 1.000 Höhenmeter auf 3,8 Kilometer Streckenlänge, ein Lauf gegen die Uhr, der oder die Schnellste siegt. Trotz all der Anstrengung ist es ein Spaß für Aktive und Zuschauer. Die Belohnung: ein kaltes Getränk und die sagenhafte Aussicht von Planpraz auf den Mont Blanc und die umliegenden Berge – einfach atemberaubend schön. Eine Kollegin und ich fangen an darüber zu philosophieren, ob es nun schöner ist, in den Bergen oder am Meer zu leben. Wir kommen beide zu dem Schluss: In so einer Umgebung hast du alles, um glücklich zu sein, und brauchst auch kein Meer.

EINE STADT IM LAUFFIEBER

Weitere Rennen runden das Wochenende in den französischen Bergen ab. So sind in diesem Jahr die 23 Kilometer wieder in den Kalender aufgenommen worden. Die 23 Kilometer, mit denen 1979 alles begann, bis 2003 die Marathondistanz hinzukam. Des Weiteren dürfen sich die Trailäufer als Duo-étoilé im Teamlauf versuchen oder gleich aufs Ganze gehen und die 80 Kilometer erlaufen. In und um Chamonix ist also viel los an diesen Tagen, die ganze Stadt ist im Lauffieber. Bis spät in die Nacht werden beispielsweise am Samstagabend Läufer der 80-Kilometer-Distanz mit stehenden Ovationen begrüßt. Menschen, die an einem angenehm warmen Abend durch Chamonix flanieren, bleiben stehen, klatschen, feuern an, beim Essen Sitzende stehen auf und tun es ihnen gleich. Magisch sind diese Momente für alle, die den Laufsport lieben, ob laufend oder schreibend, einfach sensationell.

COMEBACK GELUNGEN

Zurück zum Sonntagmorgen. Meine Kollegen und ich machen uns auf den Weg zum Bus. Wir werden uns vor dem Start des Marathons aus Chamonix hinaus bewegen müssen, da wir sonst im Stau der begleitenden Fanfahrzeuge stecken bleiben könnten, das erklärt mir ein Kollege. Kurz vor Erreichen des Fahrzeuges läuft Kilian an uns vorbei. Er ist auf dem Weg zur Startaufstellung. Begleitet wird der Topstar schon frühmorgens von zahlreichen Menschen, entweder durch Applaus oder gar nebenher laufend. „Für Kilian ist es teilweise nicht so einfach, sich in der Öffentlichkeit von Chamonix zu bewegen. Im letzten Jahr haben sich so viele Menschen nach seinem Sieg um Kilian gedrängt, dass wir ihn nur mit Mühe aus der Masse herausziehen konnten. Einmal befreit, sind wir dann im Spurt Richtung Auto und dann raus“, erklärt mir Jordi, ein Mitarbeiter von Kilians Management Lymbus. Bei uns in Deutschland gibt es keinen solchen Superstar des Laufsports, der sich mit Kilian Jornet vergleichen ließe.

Mit diesen Geschichten im Kopf fahren wir im Auto los und erleben einen Marathon, der viele Menschen entlang der gesamten Strecke in seinen Bann zieht. Ein Tour-de-France-Feeling an den Berghängen, wo Menschen, dicht an den Singletrails stehend, die Läufer frenetisch unterstützen. Kilian Jornet feiert am Ende ein erfolgreiches Comeback und siegt – nach überstandenem Beinbruch – mit einer Zeit knapp unter vier Stunden beim zweiten Rennen der Golden Trail Series. Chapeau!

Text: Ralf Kerkeling

 

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