Trail
Fotos: Mathis Dumas / The North Face

Deutschlands erfolgreichste Trail-Läuferin (II)

Ida-Sophie Hegemann zählt zu den besten Trail-Läuferinnen des Landes. Sie hat bereits alle großen Alpenläufe gewinnen können – den legendären Transalpine Run sogar mehrfach. Teil zwei der Reportage über die sympathische Athletin.

Teil eins der Reportage

Das Etappenrennen über die Alpen sollte Ida eigentlich mit einer Triathletin gemeinsam bestreiten. Allerdings verletzt sich ihre Laufpartnerin kurz vor dem Event – ihr neuer Kompagnon wird niemand geringeres als Phillip Reiter: mehrfacher Deutscher Meister im Skibergsteigen und Mitglied der deutschen Nationalmannschaft. „Das war ein lustiger Zufall. Also zum einen, dass ich beim Berglauf überhaupt auf den TAR angesprochen wurde, zum anderen, dass ich mit Phillip gelaufen bin. Ohne diese Zufälle wäre ich bestimmt nie zum Trailsport gekommen“, erinnert sich Ida.

Reiter, der zu diesem Zeitpunkt für Salomon tätig war, hat die junge Duderstädterin dann direkt für das Trailrunning-Team des französischen Bergspezialisten empfohlen. Ab da nimmt Hegemanns Karriere an Fahrt auf. 2018 gewinnt sie sowohl den renommierten Zugspitz-Marathon als auch den Großglockner-Trail und misst sich schon früh mit internationalen Konkurrenten bei der „Golden Trail Series“: „Ich habe gesehen, dass ich hart kämpfen muss, um international überhaupt in die Top30 zu laufen, dafür ist das flache Training in Hannover nicht geeignet. Ich muss in die Berge“, sagt Hegemann. Der Rest ist schnell erzählt: Ende 2019 bewirbt sich Ida-Sophie für ein Auslandssemester in Innsbruck, verliebt sich in die Alpenstadt und entscheidet in Tirol zu bleiben.

Ausgebremst

Hier studiert das junge Trail-Talent Architektur im Master. Diese Leidenschaft für Baukunst lässt Hegemann in ihre Läufe mit einfließen. Schließlich hat sie auf den ultra-langen Distanzen genügend Zeit, sich mental herauszufordern: „Es kommt da ein bisschen drauf an. Laufe ich ohne Musik, dann baue ich in meinem Kopf ununterbrochen Häuser. Es ist wirklich total schlimm. Egal, an was für einer Ruine oder was für einer Hütte ich vorbeilaufe – in meinem Kopf gestalte ich daraus immer ein Haus, in dem ich leben würde. Auch jetzt bei meinem Wettkampf in Istrien, da waren so viele baracke Häuser auf der Strecke, bei denen ich mir gewünscht hätte, die alten Scheunen auszubauen“, scherzt Ida.

Mittlerweile läuft Ida-Sophie Hegemann für das Trail-Team von „The North Face“. Mit der starken Brand im Rücken hat sie nicht nur ihre Karriere-Highlights erreicht, sie war auch die erste Frau, die den „Stubai Höhentrail“ in weniger als 24 Stunden gefinisht hat, in 19:16:11 Stunden, um genau zu sein. Bei diesem Lauf-Abenteuer stellte Ida-Sophie eine sogenannte FKT auf, eine „Fastest Known Time“. Derartige Projekte streut die Trailläuferin immer wieder in ihre Saison ein, um sich auch in der Off-Season herauszufordern. Ihr großes Ziel liegt jedoch in einer anderen Alpenstadt versteckt: Die Teilnahme am „Ultra-Trail du Mont-Blanc“ im französischen Chamonix. Im Tal des Mont Blancs will Ida noch eine offene Rechnung begleichen.

Bitterer Unfall beim Saisonhöhepunkt

Trail

Im vergangenen Jahr startete die The-North-Face-Athletin beim „CCC“ – ein 101 Kilometer langer Lauf von Courmayeur, über Champex bis nach Chamonix. Allerdings erlitt Hegemann im Rennen einen herben Rückschlag: „Beim CCC war ich riesig enttäuscht und bin danach voll ins Loch gefallen. Es war mein Saison-Highlight und ich war absolut gut drauf. Ich hab schon im ersten Uphill gemerkt, wie viel an dem Tag geht – ich hab mich total zurückgehalten und war trotzdem schon in den Top10.“

Dann hat sich das Wetter leider total gedreht, es hat sich komplett zugezogen und es hat angefangen zu gewittern. Deswegen sind alle anderen Läufer links und rechts raus, um ihre Jacken anzuziehen“, erzählt Ida. Sie hingegen läuft unbeirrt weiter, in der Hoffnung, dass der Sturm vorbeizieht. Der Läufer vor Hegemann verfolgt dieselbe Taktik, versucht allerdings seine Jacke aus dem Staufach seines Rucksacks zu hantieren. Es kommt zum Unglück: „Ich hatte mich in seinem Windschatten versteckt als mein Vordermann sich doch dazu entschieden hat, seine Jacke anzuziehen. Er hat also beide Stöcke in die rechte Hand genommen und mit links versucht, die Regenjacke rauszunehmen. Aber es ging nicht. Ich hab natürlich versucht, mich so klein wie möglich hinter ihm zu machen. Aber exakt in dem Moment, als ich kurz nach oben geguckt habe, hab ich die beiden Stöcke von ihm ins Gesicht bekommen“, erinnert sich Ida an den Unfall.

Das Adrenalin überdeckt den Schmerz – die CCC-Teilnehmerin läuft den flowigen Downhill zum nächsten Verpflegungspunkt (VP), wo sie jedoch sofort von einem Mitarbeiter der Medical Crew aus dem Rennen genommen wird, um die Blutung zu stoppen. Das Protokoll schreibt eine zehnminütige Pause vor, die Ida-Sophie über sich ergehen lässt. Dank ihrer Willenskraft kann sie nach der Zwangspause weiterlaufen, nur um am nächsten VP erneut aus dem Rennen genommen zu werden. Doch obwohl Ida in kurzer Hose am Gipfel steht und aufgrund des Medical Protocolls langsam auskühlt, beißt die Profi-Trailläuferin ein letztes Mal die Zähne zusammen. Erst bei der Ankunft in Champex-Lac, wo Hegemann erneut von den „Meds“ aus dem Rennen genommen wird, bricht sie den Wettkampf unter Tränen ab.

Das Trail-Mentalitätsmonster

Es gibt unzählige Profis, die nach solch einem herben Rückschlag die Flinte ins Korn werfen und sich nie wieder auf den Erfolgsweg zurückkämpfen können. Auch Ida-Sophie schlittert nach dem CCC in das Tal der Motivationslosigkeit. Bemerkenswert ist allerdings, dass die junge Trailläuferin die „Schuld“ für den Unfall bei sich und nicht ihrem Vordermann sucht: „Als wir am Montag alle aus Chamonix abgereist sind, hat es mich richtig erschlagen. Der CCC war mein Highlight und es ist so ärgerlich, dass ich nicht zeigen konnte, wofür ich trainiert habe. Da fragt man sich natürlich, wieso sowas mir passiert ist. Wieso habe ich nicht aufgepasst? Wieso habe ich meinem Vordermann nicht irgendein Zeichen gegeben, dass ich hinter ihm laufe oder ihm sogar die Jacke aus dem Rucksack geholt. Ich habe ja gesehen, dass er Probleme hatte, sie rauszukriegen. Aber soweit habe ich in dem Moment einfach nicht gedacht.“

Echte Siegertypen versinken aber nicht in Selbstmitleid, sondern tun das, was sie am besten können: Im September 2022 gewinnt die zweifache TAR-Siegerin erneut das Etappenrennen. Zwei Wochen später steht sie als erste Frau beim 108-Kilometer-Wettkampf in Nizza auf dem Podium. Man hat das Recht enttäuscht zu sein, aber aufgeben ist keine Option – ein Did-Not-Finish (DNF) ist eben ein wichtiger Lernprozess im Leben eines Läufers.

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