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Wann sind orthopädische Hilfsmittel sinnvoll? (II)

Bandagen, Tapes und Schuheinlagen – an orthopädische Hilfsmittel werden unterschiedliche Hoffnungen geknüpft. Was ist sinnvoll und für wen? Teil zwei

Hier geht es zu Teil eins des Beitrags.

Druck lass nicht nach: Kompressionskleidung – mittlerweile fast von Kopf bis Fuß – hat sich im Laufbereich etabliert, scheidet aber die Geister recht deutlich. Überzeugten Fans stehen sich nur „eingezwängt“ fühlende Verweigerer gegenüber. Der Zweck der enganliegenden, sanften Dauerdruck ausübenden Strümpfe Tights und Shirts liegt in der Optimierung der Mikrozirkulation (vor allem Rücktransport verbrauchten Blutes zum Herzen). Weiterhin sollen sie die Muskel-Gelenk-Koordination verbessern und therapeutisch die Auflösung von Flüssigkeitsansammlungen (Ödemen) und Gewebsschwellungen beschleunigen.

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Die aktuelle wissenschaftliche Datenlage spricht tatsächlich für eine positive Wirkung auf muskuläre Regenerationsprozesse. Auch zur Vermeidung überlastungsbedingter Muskelverletzungen scheint Kompression von Nutzen zu sein – wenngleich hier an erster Stelle ein Überdenken der Belastungssteuerung ratsam ist. Die große Hoffnung, via Kompression Leistungssteigerungen zu erzielen, wird von der Wissenschaft bis dato nicht gestützt. Die Empfehlung: Tragt Kompressionskleidung, wenn es euch angenehm ist. Auch der Placeboeffekt (die positive Erwartung) kann die Leistung pushen. Achtet aber unbedingt auf exakte Passform, anderenfalls ist Unbehagen vorprogrammiert! Wenn Ihr euch in Kompressionswäsche unwohl fühlt, verzichtet auf den „Druck von außen“. Der Noceboeffekt (die Negativerwartung) kann mögliche Positivwirkungen überproportional zunichtemachen. Der Verzicht auf Kompression wird weder eurer Leistung noch eurer Gesundheit abträglich sein.

Farbige Klebestreifen als Hilfsmittel

Sie sind weithin sichtbar und auf vielen laufenden Waden, Knien und Oberschenkeln fixiert. Kinesiotapes erfreuen sich seit Jahren großer Beliebtheit, wenngleich die Diskrepanz zwischen wissenschaftlich bewiesener und persönlich empfundener Wirksamkeit hinsichtlich der Beschwerdelinderung groß ist. Bei den bereits in den 1970er Jahren von dem japanischen Chiropraktiker Kenzo Kase für den Einsatz bei Sumoringern entwickelten Kinesiotapes handelt es sich um elastische Baumwollpflaster, die therapeutisch bei Verletzungen oder Verspannungen des gesamten Bewegungsapparates – Knochen, Muskeln, Sehnen und Bändern – eingesetzt werden, aber auch regenerativ etwa nach Operation Verwendung finden. Rein prophylaktisch soll die Anwendung der Gelenkstabilisierung und muskulären Aktivierung dienen. Das theoretische Wirkungsprinzip ist nicht unumstritten. Die getapeten Hautareale sollen etwas angehoben werden und die resultierende Druckentlastung soll dann über eine Aktivierung von Blut- und Lymphzirkulation eine Art sanfter Dauermassage und Lymphdrainage erzeugen.

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Auch Lauf-Superstar Eliud Kipchoge setzt auf Kinesiotaping. (Foto: imago images)

Zudem biete die Art der Anbringung – insbesondere die Ausrichtung sowie die Höhe der Zugspannung – individuelle, beschwerdespezifische Anwendungen. Auf diese Weise sei je nach Symptomatik sowohl ein den Muskeltonus erhöhendes als auch ein erniedrigendes Kinesiotaping möglich. Spezielle, unter maximaler Zugspannung aufgeklebte Tapes sollen über die Reizung der hauteigenen Mechanorezeptoren eine Deaktivierung der Schmerzrezeptoren auslösen. Dies verhindere unnatürliche Schonhaltungen bzw. ermögliche schmerzfreie physiologische Bewegungsabläufe. Um die jeweils gewünschten Wirkungen zu erzielen, sei das fachgerechte Tapen durch einen geschulten Therapeuten erforderlich. Neben diesen physiologischen Effekten wird den Kinesiotapes eine positive psychische Wirkung in Form einer besseren Körperwahrnehmung und Motivationssteigerung zugeschrieben.

Hilfsmittel mit Tragekomfort

Auf Basis eigenen Befragungen scheint das Gros der Kinesiotape-Anwender aller wissenschaftlicher Unklarheiten zum Trotz von der Wirksamkeit überzeugt zu sein, zumal der Tragekomfort deutlich höher sei als bei herkömmlichen Tapes und Bandagen. Bis heute haben sich über 100 Studien mit den möglichen Wirkungen befasst. Eine belastbare Wirksamkeitsevidenz hat sich daraus nicht ableiten lassen. Das bedeutet natürlich keinesfalls, dass Sportler über Placebo- und Suggestionswirkungen nicht durchaus von den Tapes profitieren können. Die Seele läuft immer mit. Als Quintessenz bleibt die Erkenntnis: Eine medizinisch-therapeutische Wirkung ist nach wissenschaftlichen Maßstäben für die flexiblen Tapes nicht nachzuweisen. Aber wer von der Wirkung überzeugt ist oder auch nur einen psychischen Schub benötigt, wird durch die Anwendung keinen Schaden nehmen, sofern er dann nicht auf andere medizinisch indizierte Therapiemaßnahme verzichtet. „Test and decide!“

Läufer sind Individualisten

Laufen zählt zu den Einzelsportarten. Da passt es nur zu gut, dass hinsichtlich des Einsatzes orthopädischer Hilfsmittel so gut wie keine allgemein gültigen Aussagen möglich sind. Länger andauernde Beschwerden gehören ohnehin ärztlich abgeklärt, sodass dann von fachkundiger Seite die Empfehlung für oder gegen eine orthopädische Unterstützung ins Spiel kommt. Sich präventiv, ohne Vorschäden oder bekannte Instabilitäten nach dem „Kann-ja-nicht-schaden-Prinzip“ Bandagen oder Orthesen über die Gelenke zu ziehen, kann nicht empfohlen werden. Man wiegt sich in trügerischer Sicherheit, neigt dazu, das stabilisierende Muskeltraining zu vernachlässigen und ins Geld geht´s obendrein. In der Frage der textilen Kompression und des Einsatzes von Kinesiotapes hört auf Eure körpereigenen Signale – die Wissenschaft kennt hier noch keine Wahrheit. Der abschließende Rat: „Zu Einsatz, Risken und Nebenwirkungen fragt Euren Arzt und den Orthopädietechniker!“

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