Schneller durch Sprungkraft-Training (I)
Pylometrisches Training macht Läufer leistungsstärker. Wir verraten, was dahintersteckt und zeigen die besten Übungen.
Natürlich könnte Laufen noch viel schöner sein – wenn eben nicht das leidige Thema der Vor- und Nachbereitung wäre. Sind wir doch mal ehrlich: Wie viele wärmen sich vor der Joggingrunde tatsächlich auf? Es erscheint sinnlos, dass man sich vor dem Laufengehen „warmlaufen“ sollte. Allerdings kann ich dir versichern, dass ein Warm-Up alles andere als nutzlos ist. Im Gegenteil. Denn wer nach einem langen Arbeitstag am Schreibtisch direkt in die Laufschuhe springt, erhöht den körperlichen Verschleiß und riskiert unnötige Verletzungen. Genauso verhält es sich mit dem Cool-Down: Der Körper muss nach einer sportlichen Anstrengung langsam wieder auf „Normaltemperatur“ gebracht werden.
Und sicherlich ahnst du bereits, worauf ich hinaus will: Auch Ausdauersportler dürfen das Krafttraining nicht vernachlässigen. Kraftvoller, schneller und verletzungsfrei laufen? Das klingt für mich nach guten Gründen, um sich regelmäßig auf der Gymnastikmatte zu quälen. Denn das Homeworkout mit dem eigenen Körpergewicht ist in der Regel vollkommen ausreichend, um die Muskulatur ausreichend zu kräftigen. Schließlich geht es bei „unserem“ Workout nicht um stumpfes Eisenbeißen und das Formen eines möglichst ästhetischen Körpers, sondern um den tatsächlichen Aufbau von Muskelkraft und um den Ausgleich von muskulären Dysbalancen.
Hier kommt das plyometrische Training ins Spiel: Es bringt Abwechslung in den öden Workout-Alltag, ist dabei aber extrem effektiv. Das Sprungkraft-Training ist daher auch sportartübergreifend ein fester Bestandteil des Trainings von Spitzenathleten.
Mystische Trainingsart
Plyometrisches Training ist dabei das exakte Gegenteil vom Heben schwerer Gewichte, die mit möglichst langsamen Bewegungen ausgeführt werden. Das Sprungkraft-Training besteht aus schnellen, explosiven Abläufen, die sowohl den Aufbau der Explosiv- als auch der Schnellkraft fördern. Deshalb ist diese Trainingsmethode auch unter dem Namen Schnellkrafttraining bekannt.
Seinen Ursprung hat das plyometrische Training in der ehemaligen Sowjetunion und anderen Ostblockstaaten. Der sowjetische Sportwissenschaftler Yuri Verkhoshansky gilt als Begründer der Plyometrie. Er entwickelte die damals noch genannte Sprung- oder Schocktrainingsmethode. Für viele Athleten aus den westlichen Staaten hatte diese Trainingsart einen sehr mystischen, aber gleichzeitig erfolgreichen Ruf. Doch erst mit dem Leichathlethik-Trainer Fred Wilt wurde auch der Begriff „Plyometric“ bekannt. Der Begriff leitet sich dabei aus dem Altgriechischen ab und bedeutet – sinngemäß übersetzt – Steigerung (pleîon) des Maßes (metrô).
Gemeint ist dabei aber weniger das Maß, sondern die Länge. Denn das plyometrische Training beruht auf der Theorie des Reaktivkrafttrainings. Hierbei erfolgt zunächst eine Dehnung, also eine exzentrische Bewegung des Muskels, bevor die Muskulatur unmittelbar wieder kontrahiert. Dieser Vorgang wird auch als Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus bezeichnet und trainiert explizit die eigene Schnellkraft. Dabei gilt: Je schneller und stärker die exzentrische Phase der Bewegung stattfindet, desto mehr Kraft kann in der konzentrischen Phase entwickelt werden.
Mit Sprung-Training zu mehr Kraft
Das Ziel von Plyo-Training ist es, mehr Kraft im Muskel-Sehnen-Komplex zu speichern und abrufen zu können. Deshalb auch die Begriffsdefinition „Mehr Länge“– je länger ein Muskel ist, desto mehr Energie kann er speichern. Um diese wissenschaftliche Theorie etwas bildhafter darzustellen, stell dir deine Muskeln wie ein Gummiband vor. Sobald du das Band auseinanderziehst, speichert es Energie. Lässt du das Gummiband nun wieder los, schnellt es mit wesentlich mehr Kraft zurück, als du für das Auseinanderziehen aufbringen musstest. Probier es doch gleich mal an dir selber aus: Spring zunächst aus dem Stand (ohne Zuhilfenahme der Arme) und dann aus der Hocke in die Luft. Bei dem Hock-Streck-Sprung wirst du deutlich höher springen können.
Das plyometrische Training kann in drei Übungsgruppen aufgebrochen werden. Es gibt die „Jumps“ – das sind Übungen, bei denen du mit beiden Füßen springst und auch beidbeinig wieder landest. Dann gibt es die „Hops“, bei denen du ausschließlich mit einem Fuß springst und auf dem auch wieder landest. Und zu guter Letzt gibt es noch die „Bounds“. Hierbei springst du mit einem Bein ab, landest jedoch auf dem anderen.
Nicht nur für Spitzenathleten
Ich gebs zu. Die Vorgänge des plyometrischen Trainings klingen durchaus kompliziert und möglicherweise sogar abschreckend. Denn die komplexen Bewegungsabläufe vermitteln den Eindruck, dass Plyo-Übungen nur für Spitzensportler und bei Überwachung eines ausgebildeten Athletik-Trainers geeignet sind. Das ist jedoch ein Irrglaube. Sowohl Profis als auch Hobby-Athleten profitieren vom plyometrischen Training. Vorausgesetzt, die Übungen werden sauber und korrekt ausgeführt.
Gerade Läufer ziehen einen hohen Nutzen aus dem Sprungkrafttraining. Insbesondere von Übungen, bei denen der Abdruck sowie der Bewegungsumfang der Fußgelenke verbessert wird. Aus einer Studie aus dem „Journal of Strength and Conditioning Research“ geht hervor, dass Läufer ihre Leistung um vier Prozent steigern konnte, wenn sie sechs Wochen lang eine Trainingsroutine mit plyometrischen Übungen verfolgt haben. Den Erfolg schreibt man der erhöhten Kraft im unteren Körper sowie einer Steigerung der Explosivkraft zu. Einer weiteren Studie nach, verbessert sich die eigene Laufökonomie durch plyometrische Übungen wesentlich effizienter als das Stemmen von Gewichten im Fitnessstudio. Und du weißt ja: Bei zwei identischen Athleten gewinnt immer derjenige, der am ökonomischten läuft. Die Vorteile liegen also auf der Hand. Mit plyometrischen Übungen trainierst du nicht nur deine Schnellkraft, sondern auch die eigene Reaktionszeit, die Maximalkraft, die Flexibilität, die Koordination sowie deine Kondition. Zudem stärkst du deine Bänder, Sehnen und Gelenke durch plyometrisches Training, wodurch du das Risiko für Sport-Verletzungen deutlich reduzierst.
Allerdings hat diese Trainingsmethode auch eine Kehrseite. Plyometrisches Training soll dich zwar vor Verletzungen schützen. Paradoxerweise ist die Verletzungsgefahr im Vergleich zum normalen Lauf- oder Krafttraining bei Sprungkraft-Übungen aber deutlich höher. Aufgrund der explosiven Bewegungen sind die Anforderungen an die Elastizität und Flexibilität der Muskulatur extrem hoch. Ohne ein intensives Aufwärmprogramm und bei falsch ausgeführten Übungen drohen dir Zerrungen oder sogar leichte Muskelfaserrisse. An dieser Stelle ist unbedingt zu erwähnen, dass diese Trainingsform für Ausdauersport-Anfänger gänzlich ungeeignet ist. (Text: Robin Siegert)
Im zweiten Teil schauen wir uns die besten Sprung-Übungen an.
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