Zählen
Foto: Adobe Stock / Stratford Productions

Welche Rolle spielt Zählen für Läufer?

Pace, Herzfrequenz, Distanz – Laufen ist von Zahlen geprägt. Doch auch das Zählen spielt für uns Ausdauerathleten eine wichtige Rolle. Besonders wenn die Kräfte schwinden und man sich nichts sehnlicher wünscht, als endlich stehenzubleiben.

Zahlen ziehen Läufer magisch an. Es beginnt schon beim Schnüren der Laufschuhe: Das Distanz-Ziel „X“ will in „Y“ Minuten gelaufen werden. Ziemlich sicher, gucken sich 99,9 Prozent der Ausdauerathleten ihren Lauf im Nachgang nochmals an. Sei es, um zu schauen, wo man überall hergelaufen ist oder mit welcher Pace man zu welchem Zeitpunkt unterwegs war.

Doch häufig beginnt die Zahlenspielerei bereits während der Belastung. Wie bei meinem Longrun: Ich hatte schon früh gemerkt, dass mir die Kraft für die Strecke fehlen wird. Daher habe ich meinen langen Lauf in verschiedene Einheiten aufgebrochen. Zunächst in Brüche. Wieso? Ganz einfach: „Nur noch zwei Drittel“ klingt weitaus schneller oder leichter zu bewältigen als „noch 17 Kilometer“. Plus: In der Zeit, in der ich berechnet habe, wieviel ein Drittel von 26 Kilometer überhaupt sind, bin ich schon wieder 1.000 Meter gelaufen. Zu meiner Verteidigung: Kopfrechnung ist keineswegs meine Nemesis. Doch beim Laufen zu rechnen, ist für mich tatsächlich eine große Herausforderung. Noch schlimmer als die Distanz in Bruchstücke zu teilen, ist die Berechnung der verbleibenden Zeit anhand der aktuellen Pace.

Zählen – diese Tricks helfen uns Läufern?

Nachdem ich das erste Drittel erfolgreich gelaufen bin, habe ich mich auf das Erreichen der Hälfte fokussiert. Auch hier helfen wieder simple Mathe-Tricks: Vom ersten Drittel bis zur Hälfte sind es gerade einmal fünf Kilometer. Und für 5.000 Meter brauche ich knapp 25 Minuten – eine Zeit, für die wir Läufer uns selten die Schuhe überhaupt schnüren. Egal, ob intensive Intervalle oder kräfteraubender Longrun: Sobald ich die magische Grenze von 50 Prozent erreicht habe, sage ich mir immer wieder, dass es ab jetzt weniger wird. Gemeint ist logischerweise die Anzahl der Intervalle respektive die noch zu laufenden Kilometer eines langsamen Dauerlaufs. Diesen Satz sagte einst mein Fußballtrainer zu mir, als ich mich hechelnd und widerwillig bei den letzten Diagonal-Sprints über den grünen Rasen geschleppt habe. Der Spruch ist hängengeblieben, weil er nicht nur die harten Fakten auf den Tisch legt, sondern auch eine Quelle der Hoffnung ist.

Kenne deinen Sweet Spot

Prinzipiell geht es bei der von mir so liebevoll genannten „Rechen-Technik“ nichtmal zwangsweise darum, Distanzen in Brüche zu teilen oder Kilometer vom Gesamtumfang zu subtrahieren. Es dreht sich alles darum, einen Berg in erklimmbare Hügel zu zerlegen – bildlich gesprochen, versteht sich. Am Anfang, wenn die Beine und der Kopf noch frisch sind, mögen 26 Kilometer auf einen Schlag bezwingbar erscheinen. Doch sobald die Müdigkeit einsetzt und die Energiespeicher leerer werden, muss man Distanzen so aufbrechen, dass sie „leicht“ zu meistern sind. Nur so kann dem Kopf vorgegaukelt werden, einen Fuß vor den anderen zu setzen – unabhängig davon, ob man noch 13, 5 oder sogar 40 Kilometer zu laufen hat.

Zu klein dürfen die Distanzen aber auch nicht sein. Zumindest nicht, wenn man noch einen hohen Rest vor der Brust hat. Wer von Kilometer zu Kilometer denkt, wird schnell merken, dass der eigene Kopf das Spiel durchschaut. Dann werden aus 1.000 Meter plötzlich „noch 13 Mal einen Kilometer“. Und überall wo das Signalwort „Mal“ verwendet wird, assoziiert der Mensch eine hohe Zahl – in unserem Fall eine hohe Distanz.

Meine Rest-Distanz habe ich in drei-Kilometer-Segmente geteilt. Denn 3.000 Meter stellen für mich den sogenannten „Sweet Spot“ dar. Ursprünglich bezeichnet er eine Art effektive Zone: Wenn sich hier etwas befindet, hat es die optimale Wirkung. Beim Laufen wird häufiger auch die Pace, mit der man gefühlt ewig weiterlaufen könnte, als „Sweet Spot“ bezeichnet. In meinem Fall war es eben die Distanz, die sich für mich, in meinem Erschöpfungszustand, als „leicht bezwingbar“ fühlte. Auf diese Weise habe ich die verbleibenden Kilometer meines verkappten Longruns in Angriff genommen.

Nach dem Zählen ist vor dem Zählen

Ein weiteres unter Läufern verbreitetes Phänomen ist der „Final-Countdown-Effekt“: Sobald der letzte zu laufende Kilometer angebrochen ist, wird jeder verbleibende Kilometer heruntergezählt – in 100er-Schritte. Wer seine Intervall-Einheiten auf der Laufbahn absolviert, wird ab 800 Metern sicherlich in Bahnen rechnen: „Nur noch zwei Runden“, „jetzt die letzte Runde – nur noch knapp zwei Minuten“ – geht es darum, den Kopf auszutricksen, werden alle Register gezogen, um den Motor am laufen zu halten.

Doch wer jetzt geglaubt hat, die Zahlenspielerei hört mit Ende des Workouts ebenfalls auf, der irrt sich gewaltig. Denn im Leben eines Läufers scheint sich vieles ums Zählen und um Zahlen zu drehen: Diejenigen, die sich nach dem Lauf brav auf der Faszienrolle quälen oder sich für eine ausgiebige Stretching-Session entscheiden, werden weiterhin Sekunden im Kopf zählen. Mindestens 30 Sekunden sollte eine Dehnung gehalten werden, damit sie auch wirklich einen positiven Effekt auf die Beweglichkeit des Menschen hat. Klar, man könnte sich natürlich auch einen Timer auf seinem Handy stellen. Doch diesen immer wieder zurückzusetzen, sobald man die Muskelpartie wechselt, ist müßiger als schlicht in Gedanken bis 30 zu zählen.

Trick 17

Egal, ob du jetzt die Distanz, die Zeit oder die Anzahl an Wiederholungen in kleinere Teile aufbrichst: Diese Technik findet auch im Alltag ihren Gebrauch. Aufgrund unserer immer geringer werdende Aufmerksamkeitsspanne muss digitaler Content „snackable“ sein – Inhalte müssen also vom Nutzer auf einen Blick gescannt und konsumiert werden können. Ist das nicht der Fall, sucht sich die Person eine andere Quelle oder überspringt uninteressante Fotos, Statements oder Videos.

Chunking“, so heißt die Technik für das Erreichen von beruflichen oder privaten Bestreben. Es geht dabei um das Herunterbrechen von übergeordneten Zielen in kleinere Teilschritte. Der Vorteil? Du behältst das „große Ganze“ auf diese Weise stets im Blick. Dazu bleibst du gleichzeitig kontinuierlich motiviert, schließlich gibt es fast nichts befriedigenderes als ein To-Do von seiner Liste abzuhaken. Und exakt so verhält es sich eben auch beim Laufen: Wird ein langer Lauf in kleine Einzelteile zerlegt, kann wirklich jede Distanz in Angriff genommen werden. Hierbei hilft es auch „Vergleichsstrecken“ im Kopf zu haben – wer sich die letzten verbleibenden zwei Kilometer als „kurzen Ausflug zum Bäcker und zurück“ vorstellt, wird erstaunlich viel Energie freisetzen können, weil der Kopf ganz genau weiß, wie mühelos man eben diese zwei Kilometer normalerweise läuft. (Text: Robin Siegert)

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