VO2max
Adobe Stock / Stefan Bartenschlager

VO2max – das Eichmaß der Fitness?

Vor diesem Wert seiner Laufuhr hat manch einer regelrecht Angst, ohne genau zu wissen, was dahintersteckt. Die maximale Sauerstoffaufnahme – kurz VO2max – gilt als der Wert für Leistungsfähigkeit und -entwicklung. Zu Recht?

Liest man mal Onlineforen im Ausdauersport quer, könnte man unter dem Hashtag #Sauerstoffaufnahme den Eindruck gewinnen, sportliche Wettkämpfe könnten bald am grünen Tisch ausgetragen werden. Es bringt einfach jeder seine VO2max-Werte mit, lässt sich wiegen und wie beim Autoquartett gewinnt der mit dem höchsten Quotienten. Um die Lage diesbezüglich mal zu entspannen: Ja es ist ein wichtiger Baustein der Gesamtleistung, aber nein, sie ist bei weitem nicht der einzig entscheidende.

Was steckt hinter dem Begriff VO2max?

Bevor es an die Daten aus der Pulsuhr geht, sollte man den Wert, der hinter der maximalen Sauerstoffaufnahme steckt, in seiner sportwissenschaftlichen Bedeutung verstehen. Der wird nämlich im Ursprung nicht am Handgelenk oder mittels Brustgurt gemessen, sondern über eine sogenannte Spiroergometrie. Zu dem Verfahren gehören ein Gerät zur kontrollierten Belastungssteuerung, also Laufband, Rad- oder Ruderergometer sowie ein Gerät zur Analyse von Atemgasen. Bei langsam und stufenweise steigender Anstrengung misst dieses Laborgerät über eine Latexmaske sowohl das Volumen jedes einzelnen Atemzugs als auch die jeweilige Konzentration von Sauerstoff und Kohlendioxid. Daraus kann das Instrument dann errechnen, wie viel Sauerstoff der Sportler aus der Umluft tatsächlich aufgenommen hat.

Mit steigender Geschwindigkeit oder Widerstand steigen auch Puls und eben die Menge des verstoffwechselten Sauerstoffs. Irgendwann ist aber hier das körperliche Maximum erreicht: Mehr O2 kann nicht aufgenommen oder verarbeitet werden, man ist an seiner anaeroben Schwelle. Je höher der Abbruchwert oder die Abbruchleistung ist, desto schneller kann man gerade noch laufen, fahren oder rudern, ohne zu übersäuern. Ausgegeben wird die O2-Aufnahme gemittelt auf eine Minute. Außerdem, das erklärt die Grafik unten genauer, wird der Wert zusätzlich durch das Körpergewicht des Sportlers geteilt. Die VO2max wird also in verbrauchtem Volumen Sauerstoff pro Minute pro Kilogramm des Sportlers angegeben.

Wie kommt die persönliche VO2max zustande?

Auf dem Weg des Sauerstoffs vom Mund bis zur Muskelkontraktion gibt es „Nadelöhre“, an denen die Weiterleitung stocken und die damit den Gesamtfluss limitieren können. Luftstrom durch Nase, Mund und Luftröhre ist bei gesunden Menschen hier kein Faktor, erst beim Übertritt der Atemluft ins Blut können Einbußen vorkommen. Die Bronchien verästeln sich zu kleinsten und hauchdünnen Bläschen, durch deren „Haut“ der Sauerstoff ins Blut übertritt. Je nach genetischer Veranlagung und Trainingszustand ist die Oberfläche aller dieser Bläschen größer oder kleiner, was stark limitiert. Ebenso die künstliche Verdickung der „Haut“ durch Staub, Ruß oder Zigarettenrauch.

Im Blut selbst übernehmen die roten Blutkörperchen den Transport. Hier sitzt bei gut trainierten Menschen meist der „Flaschenhals“ der Sauerstoffversorgung. Durch Ausdauertraining werden zwar die Blutgesamtmenge und die Gesamtzahl der Blutkörperchen erhöht, der Güterzug kriegt quasi mehr Wagons, aber auf dem Gleis ist nicht unendlich Platz. Mit künstlichen Hormonen ist das System zwar zu überlisten, aber gedopt wird nicht! Auch wie viel Blut das Herz pro Minute durch den Körper pumpen kann und wie fein verästelt die Adern im Muskel sind, können die VO2max begrenzen oder durch gezieltes Training verbessern. Verarbeitet wird der Sauerstoff letztendlich von Enzymen in den Zellkraftwerken, den Mitochondrien. Beide kann man durch Training im aeroben Bereich „vermehren“. Hinkt nur einer dieser vielen Faktoren den anderen spürbar hinterher, sinkt die gesamte O2-Aufnahme. Durch einen gezielten Mix aus Grundlagenausdauer- und Schwellentraining können aber alle Bausteine des O2-Transports innerhalb der jeweiligen genetischen Grenzen verbessert werden.

Hoch … gerechnet

Jetzt kommt die Pulsuhr ins Spiel. Die misst von all diesen begrenzenden Parametern exakt – keinen. Manche Sensoren geben die aktuelle Sauerstoffsättigung des Blutes an. Die sagt ohne weitere Daten aber bezüglich O2-Aufnahme nichts aus. Wie vieles, wird die VO2max bei den Uhren errechnet oder mit einem riesigen Pool von im Labor erhobenen Daten abgeglichen. Alter, Geschlecht, Gewicht, Laufleistung und Herzfrequenzverlauf werden dafür benötigt. Und wieder spielt die Herzfrequenzvarianz (HFV) eine wichtige Rolle.

Im Prinzip vergleichen Algorithmen diese Werte mit den Äquivalenten von Sportlern, von denen die maximale Aufnahme per Spiroergometrie ermittelt wurde. Aus den ähnlichsten dieser „Vorlagen“ wird dann die VO2max des Uhrenträgers abgeleitet. Dazu gibt es bei fast allen Herstellern Tests in Ruhe, die sich eher auf die HFV stützen und es gibt etwas genauere Verfahren, bei denen der Sportler über konkret vorgegebene Belastungen für etwas verlässlichere Daten sorgt. Aus Wegstrecke, Höhenmetern und Sportlergewicht kann ein Algorithmus die physikalische Leistung errechnen. Wie viel Sauerstoff dafür aufgebracht werden muss, ist unter Standardbedingungen auch kalkulierbar. Wind, die Härte des Bodens oder Verluste durch die Lauftechnik oder falsche Schuhe werden hier aber nicht einbezogen. VO2max-Werte von Pulsuhren sind also nicht erfunden oder geschätzt. Es gibt aber einfach einige Fehlerquellen, die den Ausgabewert gegenüber dem realen in beide Richtungen irren lassen können.

Welche Fehlerquellen bringt der VO2max-Wert mit sich?

Es ist ein errechneter Näherungswert! Selbst leichte Dehydration kann die Werte so verändern, als hätte man Form ab- statt aufgebaut. Beim Test von Pulsuhren (siehe S. 30) stellten wir fest, dass die Abweichungen der Werte verglichen mit den Labordaten je nach Hersteller überraschend klein bis noch tolerabel sind. Kurzfristige, nicht erklärbare Tendenzen nach oben wie nach unten gab es auch hier und da, aber bei allen Uhren stimmte der mittelfristige Trend. Inwieweit hier die Entwicklung der Laufgeschwindigkeit im Verhältnis zur Herzfrequenz eingerechnet wird oder wie viel Anteil die HFV hat, können wir nur vermuten. Denn genau das sind die jeweiligen Betriebsgeheimnisse der Hersteller.

Wichtig für den Endverbraucher: Ohne Leistungstest im Labor ist der absolute Wert wirklich nur ein Näherungswert! Bitte nicht im Vergleich mit anderen Sportlern verrückt machen lassen, auch erwähntes kurzfristiges Absinken ist kein alarmierendes Indiz für Formverlust! Als disziplinübergreifendes und recht allumfassendes Tool zur Ermittlung des Fitnesstrends ist die VO2max vom Handgelenk aber absolut spitze. Sie bezieht nämlich genau die Werte mit ein, die es mittel- und langfristig zu verbessern gilt und ist deshalb sowas wie übergeordnete Kontrollinstanz fürs Training. Also im Auge behalten, aber nicht davon verrückt machen lassen! (Text: Timo Dillenberger)

Kleiner Tipp: Weitere Texte zum Thema Training findest du hier.

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